Immer muss man sich entscheiden

Man muss sich entscheiden, welchen Weg man gehen soll, um ans Ziel zu gelangen, wie man sich verhalten soll, um erfolgreich zu sein, was man tun soll, um jemanden für sich zu gewinnen. Oft geht es darum, das eigene Verhalten zu optimieren, manchmal auch darum, die richtige Alternative zu wählen. So oder so, Entscheidungen betreffen immer die Auswahl einer von mehreren möglichen Varianten des Handelns. Ziel muss es sein, die Variante auszuwählen, die den größten Erfolg verspricht beziehungsweise die die höchste Dringlichkeit besitzt. Der Maßstab, an dem sich Erfolg oder Dringlichkeit messen, ist in letzter Konsequenz die Erhaltung des Lebens, des eigenen oder das der Art.

Die Erhaltung des Lebens erfordert den Schutz vor Gefahren genauso wie die Beschaffung von Stoffen und Energie für seine permanente Erneuerung. „Fressen oder Gefressenwerden“ war die Herausforderung, die das Leben von Anbeginn an begleitete. Bereits die Einzeller mussten Vorsorge treffen, um auftauchenden Gefahren zu begegnen. Sie entwickelten Abwehr- und Fluchtvarianten, die bei einem bestimmten äußeren Reiz, zum Beispiel einer Berührung, automatisch ablaufen. Eine Entscheidung ist nicht erforderlich. Pflanzen sind meist diejenigen, die gefressen werden. Sie können vor ihren Feinden nicht davonlaufen, sie können sich nur zur Wehr setzen, indem sie sich Stacheln zulegen, Gifte bilden oder den Tieren auf andere Weise den Verzehr verleiden. Diese Strategien zur Verteidigung sind im Bauplan der Pflanze verankert, individuelle Entscheidungen sind auch hier nicht vorgesehen. Viele Tiere bis hin zu Krebsen und Insekten haben ebenfalls Strategien des Überlebens entwickelt, die automatisch aufgerufen werden, sobald ein bestimmter Reiz registriert wird. Da sticht die Wespe schon mal, auch wenn man ihr gar nichts Böses will. Sie tut das nicht mit Absicht, es passiert eben. Es hat auch nichts mit der gestochenen Person zu tun, die ist ihr egal. Die gestochene Person hat lediglich etwas getan, was dieses Abwehrverhalten auslöste.

Vieles wurde anders als das Gedächtnis entstand. Mit seiner Entwicklung ging auch eine Veränderung des Gehirns einher. Zum „angestammten“ Teil, der die Körperfunktionen reguliert und automatische Reaktionen auf bestimmte äußere Reize auslöst, kamen weitere Teile hinzu. In dem einen, dem Kleinhirn, sind die ererbten respektive erworbenen Bewegungsmuster konzentriert. Dieser Teil des Gehirns verarbeitet die Informationen zur Ausrichtung des Körpers im Raum wie auch visuelle und andere Reize, mit denen die Gegebenheiten des direkten Umfelds erfasst werden. Auf dieser Basis koordiniert und steuert es die Bewegungen. In dem anderen Teil, dem Großhirn, sind die ererbten und erworbenen Verhaltensmuster versammelt. Dort werden sowohl die Bedürfnisse des Körpers erfasst als auch die Informationen der Sinnesorgane verarbeitet. Die Informationen werden mit Erfahrungen abgeglichen, um in Abwägung von Gefahren und Bedürfnissen die Prioritäten des Handelns zu bestimmen.

Jede Situation ist durch eine Vielzahl, teilweise sehr spezieller Details charakterisiert. Würde sich der Abgleich von Informationen mit Erfahrungen auf der Basis der Identität aller dieser Merkmale vollziehen, wären kaum Treffer zu landen. Um Erfahrungen, also vorangegangene Erlebisse, für eine Entscheidung nutzen zu können, ist es erforderlich, sie auf wesentliche Faktoren und Abläufe zu reduzieren, anhand derer sie den aktuellen Ereignissen zuordenbar sind. Mit der Reduzierung der Erfahrungen auf Wesentliches entsteht darüber hinaus die Möglichkeit, mehrere ähnliche Ereignisse zu einer Erfahrung zusammenzufassen. Erfahrungen beinhalten aber nicht nur Faktoren und Abläufe eines Geschehens, sondern auch die Bewertung des mit ihm verbundenen Erfolgs oder Misserfolgs. War die eingeleitete Aktion erfolgreich, dann geht dies aufwertend in die Erfahrung ein, endete sie in einem Desaster, dann ist die vorangegangene Entscheidung, einschließlich der ihr zugrundeliegenden Einschätzung der Situation, in Zweifel zu ziehen.

Die Nutzung von Erfahrungen wurde zum prägenden Merkmal der Wirbeltiere. Als ihre ersten Vertreter gelten urzeitliche Kreaturen, die den heutigen Neunaugen ähnelten. Aus ihnen gingen die Fische hervor. Für Fische ist die dominierende Rolle des Kleinhirns charakteristisch. Offensichtlich hat für sie die Anpassung von Bewegungsabläufen an die konkreten Umweltbedingungen einen deutlich höheren Stellenwert als die Verwaltung von alternativen Verhaltensmustern. Das änderte sich mit dem Landgang der Tiere, denn nun wurden die Gegebenheiten, denen die Tiere sich in ihrem Verhalten anpassen mussten, ungleich vielfältiger. Zur Erlangung der dafür erforderlichen Informationen bildeten sich komplexe Sinne aus. Wahrscheinlich war es der Geruchssinn, der sich zuerst in dieser Weise entwickelte, das legt zumindest das Gehirn der Amphibien nahe. Mit dem Geruchssinn werden Partikel, die durch die Luft herangeweht werden, registriert. Der große Vorteil dieser Wahrnehmung besteht darin, dass sie auf Nahrung oder auf Gefahren hinweist, die sich noch in Distanz zum eigenen Körper befinden. Damit öffnen sie ein Zeitfenster, das die Prüfung der Informationen und eine abwägende Entscheidung zum weiteren Verhalten ermöglicht.

Die Nutzung der mit den herangewehten Partikeln verbundenen Informationen erfordert, dass diese eingefangen und identifiziert werden. Einzeller hatten bereits Sensoren hervorgebracht, die auf Stoffe, die das Wasser heranspült, reagieren. Diese Fähigkeit konnte genutzt werden, um auch Partikel, die durch die Luft wehen, zu identifizieren. Die dazu erforderlichen Sinneszellen wurden zweckmäßigerweise in den Organen zur Luftaufnahme platziert. Dass sie dort in ein feuchtes Umfeld eingebettet sind, ist wohl auf ihre Erfinder zurückzuführen. Wird nun von einer solchen Sinneszelle ein Molekül erfasst, auf dessen Struktur sie spezialisiert ist, dann generiert sie einen elektrischen Impuls, der an das Gehirn geleitet wird. Dort aktiviert der Impuls ein festgelegtes Verhaltensmuster. Sind die Geruchspartikel einem gefährlichen Räuber zugeordnet, wird die sofortige Flucht die Rettung sein. Das Leben besteht aber nicht nur aus Gefahren. Taucht ein paarungsbereites Weibchen in Riechweite eines potenziellen Samenspenders auf, dann werden die identifizierten Geruchspartikel keine überstürzte Flucht auslösen, eher wird unser Romeo aufdringlich werden.

Die Fähigkeit, kleinste Partikel in der Luft zu erkennen, bietet jedoch weitaus mehr Informationspotenzial als das, was mit den wenigen grundlegenden Gerüchen, die sofort ein bestimmtes Verhalten auslösen, ausgeschöpft wird. Die Stoffe können nämlich in ganz unterschiedlichen Kombinationen auftreten und auf diese Weise „Geruchsbilder“ formen. Diese Geruchsbilder sind so vielfältig, dass es nicht möglich war, jedem von ihnen ein Verhaltensmuster zuzuordnen. Die in ihnen steckenden Informationen mussten auf anderem Wege gewonnen werden. In gewisser Weise hatten die Fische bereits eine Lösung des Problems gefunden. Fische gleichen Informationen aus der unmittelbaren Umgebung mit gespeicherten Erfahrungen ab, um ihre Bewegungen zu optimieren. Dieser Prozess vollzieht sich im Kleinhirn. In einem ähnlichen Prozess mussten nun im Großhirn Erfahrungen zu bereits bekannten Geruchsbildern mit den eingehenden Informationen abgeglichen werden, um diese zu identifizieren und das Verhalten darauf einzustellen.

Im Laufe der Zeit bildeten sich weitere komplexe Sinne aus. Große Bedeutung erlangte das Gehör, mit dem Luftbewegungen wahrgenommen werden. Luftiiritationen können zum Beispiel durch Bewegungen anderer Lebewesen hervorgerufen werden. Kann man sie wahrnehmen und deuten, können sie unter Umständen Informationen über einen Räuber oder über eine potenzielle Beute liefern, die bis dahin weder zu sehen noch zu riechen war. Dazu müssen die Bewegungen der Luft aber nicht nur registriert und lokalisiert, sondern auch mit Hilfe von Erfahrungen identifiziert werden. Die Erfahrungen muss jeder selbst sammeln, sie werden nicht vererbt. Eine Verankerung im Erbgut kam schon deshalb nicht in Frage, weil die Lebensumstände, für die die Erfahrungen benötigt werden, sehr unterschiedlich sein können und sich zudem ständig verändern. Es zeigte sich jedoch, dass das Erkennen von Geräuschen schon für Neugeborene überlebenswichtig sein kann, weshalb der erforderliche Lernprozess so früh wie möglich, das heißt bereits im Mutterleib, einsetzten muss.

Eine andere wichtige Informationsquelle sind die Augen. Das Sehen war bereits in einer frühen Phase der Evolution zur Orientierung in der direkten Umgebung und zur Steuerung der Bewegungen entstanden. Die Herausbildung des räumlichen Sehens eröffnete jedoch in mehrfacher Hinsicht neue Perspektiven. In Kombination mit dem sich entwickelnden Gedächtnis wurde es nun möglich, größere Gebiete für eine gezielte Nahrungssuche zu erschließen. Auch Gefahren wurden besser erkannt, so dass man ihnen auf neue Weise begegnen konnte. Die Kehrseite dieser Entwicklung war die mit dem räumlichen Sehen verbundene Informationsflut, die irgendwie bewältigt werden musste. In diesem Zusammenhang stellte sich heraus, dass die Verarbeitung komplexer visueller Informationen relativ viel Zeit erfordert, Zeit, die für die Steuerung von Bewegungen, für die die visuellen Informationen ebenfalls benötigt werden, nur begrenzt zur Verfügung steht. Das Kleinhirn des Menschen braucht beispielsweise eine fünftel Sekunde für die Auswertung der visuellen Informationen, während sich das Großhirn für deren komplexe Bewertung eine halbe Sekunde Zeit lässt.1) Wollte man dem damit verbundenen Dilemma entgehen, mussten die visuellen Informationen unabhängig voneinander in beiden Teilen, das heißt sowohl im Kleinhirn als auch im Großhirn, ausgewertet werden. Die damit verbundene zeitliche Spreizung hat unter anderem zur Folge, dass das Großhirn zwar den Dirigenten geben kann, das Musizieren aber dem Kleinhirn obliegt.

Das Großhirn wird nicht nur von den Sinnesorganen mit Informationen bombardiert, auch der Körper meldet seine Bedürfnisse an, denn letztlich ist deren Befriedigung der Sinn allen Tuns. Beide, die Bedürfnisse des Körpers und die Informationen aus der Umwelt, müssen irgendwie zusammengebracht und nach Prioritäten geordnet werden, damit ein sinnvolles Verhalten möglich wird. Um Prioritäten bestimmen zu können, müssen die eingehenden Informationen irgendwie bewertet werden. Diese Bewertung könnte anhand der Quellen erfolgen, von denen die Informationen stammen. Der aus dem Körper kommenden Nachricht „Nahrung fehlt“ wird sicher ein hoher Stellenwert zugeordnet sein, falls jedoch äußere Sensoren eine akute Gefahr signalisieren, dann wird „Flucht“ und nicht „Fressen“ zur Losung der Stunde. Auch die Platzierung der Sinneszellen kommt als Differenzierungsmerkmal in Betracht. Den Sensoren am Kopf könnte eine höhere Priorität als ähnlichen am Hinterteil gegeben werden. Dann ist da noch die Intensität eines Reizes, die womöglich auf die unmittelbare Nähe einer Gefahr oder einer Beute hinweist. Nicht zu vergessen, dass die Erfahrungen jeder Bewertung eine individuelle Note verleihen.

An dieser Stelle fällt mir ein Erlebnis ein, das schon einige Jahre zurückliegt. Es war in Bulgarien, wo es zu jener Zeit viele frei laufende Hunde gab, bei denen man nicht so recht wusste, ob sie jemanden zugehörten oder ob es streunende Hunde waren. Ich drehte eine kleine Joggingrunde, als plötzlich so ein Hund vor mir stand. Wir waren wohl beide erschrocken, der Hund fasste sich allerdings schneller als ich. Er fletschte die Zähne und knurrte mich böse an. Offensichtlich hatte er gelernt, dass Menschen eher Feinde sind. Tatsächlich wurden freilaufende Hunde zu dieser Zeit nicht gerade gut behandelt, sie mussten sich schon mal vor Schlägen und Fußtritten in Sicherheit bringen. Die Augen des Hundes hatten also Informationen an das Gehirn übermittelt, die auf einen Menschen schließen ließen. Seine Erfahrungen signalisierten ihm Gefahr. Das Gehirn setzte den Körper des Hundes in Alarmbereitschaft. Seine Alternativen waren Angriff oder Flucht. Dieser Hund entschied sich für den Angriff beziehungsweise für die Androhung eines solchen. Dass er sich für diese Alternative entschied, hatte wahrscheinlich den Grund, dass es ein Hund war, der eher zur Aggressivität neigte, denn auch bei Hunden gibt es einige, die den Kampf und andere, die in einer vergleichbaren Situation die Flucht bevorzugen. Eine Ursache für diese Unterschiede mag in den früher gesammelten Erfahrungen liegen, daneben spielt aber auch die genetische Disposition des Tieres eine Rolle. Der Körper des einen Tieres setzt halt mehr Botenstoffe frei, die ein aggressives Verhalten heraufbeschwören, als der eines anderen. Sie sind eben von unterschiedlichem Temperament.

Der Hund hatte sicher an meiner Körpersprache erkannt, dass ich erschrocken war. Er hatte gewiss auch gerochen, dass mich Angst beschlichen hatte. Beides mag seine Entscheidung zu einer Angriffsdrohung beeinflusst haben. Mein Instinkt riet mir zur Flucht. Mein Wissen über Hunde sagte mir, dass ein Fluchtversuch den Hund wohl eher ermuntern würde, tatsächlich zuzubeißen. Also entschloss ich mich, einen Gegenangriff vorzutäuschen. Ich habe den Hund laut beschimpft und bin einen Schritt auf ihn zugegangen. Das war ihm nicht geheuer. Er zog knurrend von dannen, jedenfalls ein paar Schritte, denn noch war sein Körper im Angriffsmodus. Kaum hatte ich mich umgedreht, um meinen Lauf fortzusetzen, war er wieder zähnefletschend hinter mir. Das Spielchen haben wir mehrmals wiederholt, wobei meine vorgetäuschten Angriffe immer mutiger wurden. Irgendwann entkam ich seiner Aufmerksamkeit. Das Erlebnis zeigt, dass der Hund die sich verändernde Situation immer wieder neu bewertete und sein Verhalten entsprechend anpasste. Es bleibt die Frage, warum mir diese Episode nach so vielen Jahren noch immer in lebhafter Erinnerung ist. Es war halt mein erstes Zusammentreffen mit einem streunenden Hund, und ich hatte mehr Schiss, als mir lieb war. Das erste derartige Erlebnis und das starke Gefühl haben diese Episode tief in meinem Gedächtnis verankert. Da sich eine ähnliche Situation bis heute nicht wiederholt hat, wurde sie auch nicht durch andere Erfahrungen relativiert. Gefühle spielen bei der Bewertung von Situationen also offensichtlich eine Rolle. Nur was, um Himmels Willen, sind Gefühle?

zuletzt geändert: 10.09.2019

vgl. Entdeckungsreise durch das Gehirn, Gehirn&Geist spezial, Nr. 1/2011

Bild: topyourjob.wordpress.com

Ohne Boten geht gar nichts

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Leben ist ohne Informationen undenkbar. Informationen in Form des genetischen Bauplans werden benötigt, damit ein Lebewesen überhaupt entstehen kann. Ist es dann entstanden, soll es wachsen und sich vermehren. Dafür braucht es Energie und allerlei Stoffe, die es aus dem Wasser oder dem Boden, aus der Luft oder aus anderen Lebewesen ziehen muss. Um an diese Ressourcen zu gelangen, muss es wissen, wo sie zu finden sind und wie man dorthin gelangt. Dafür sind Informationen erforderlich, die mit Hilfe von Sensoren, welche vor allem in und auf der äußeren Hülle platziert sind, gewonnen werden. Von dort werden sie durch den Körper transportiert, um zu den Teilen zu gelangen, die in Aktion treten sollen. Für den Transport ist ein Medium erforderlich, in dem die Informationen gespeichert sind.

Was hat das mit einem Boten zu tun? In früheren Zeiten waren Boten dazu bestimmt, Kunde über gewesene oder erwartete Ereignisse zu übermitteln. Zu diesem Zweck transportierten sie Briefe oder andere Dokumente, die sie einem vorherbestimmten Empfänger überbrachten, damit dieser entsprechend tätig würde. Die Informationen, die ein Lebewesen benötigt, müssen ebenfalls von einem Absender, meist einer Sensorzelle, zu einem vorherbestimmten Empfänger, das heißt, einem Organ oder anderen Körperteil, transportiert werden. Auch dafür braucht man Boten. Zugegeben, deren Fortbewegungsmittel sind andere als die der reitenden Boten früherer Zeiten, im Körper eines Lebewesens werden auch keine Briefe oder Dokumente transportiert. Trotzdem muss die Information für den Transport irgendwo gespeichert sein.

Bereits bei der Entstehung des Lebens spielten Boten eine Rolle. Es hatte sich gezeigt, dass vermehrungsfähige Moleküle in einer aggressiven Umwelt nur überdauern können, wenn sie eine schützende Hülle besitzen. Das hatte zur Folge, dass im Zuge der Vermehrung auch diese Hülle vervielfacht werden musste. Die dafür erforderlichen Stoffe waren jedoch teilweise derart komplex, dass ihre Synthese mehrere Schritte erforderlich machte. Für die Steuerung dieses Prozesses boten sich Eiweiße mit einem spezifischen katalytischen Potenzial an. Damit die Zelle diese Helfer, wir nennen sie Enzyme, bilden konnte, musste deren Bauplan, genauso wie die zeitliche Abfolge ihrer Bereitstellung, im vermehrungsfähigen Molekül, der RNA, gespeichert sein. Man kann diese Enzyme daher sowohl als Werkzeuge der RNA wie auch als deren Boten begreifen, denn ihr Aufbau und der Zeitpunkt ihrer Aktivierung enthält Informationen zu Teilprozessen der Vermehrung.

Die Enzyme blieben nicht die einzigen Botenstoffe. Im Laufe ihrer langen Geschichte haben die Einzeller eine Vielzahl solcher Boten hervorgebracht. Die jeweiligen Stoffe sind unterschiedlich aufgebaut, gemeinsam ist ihnen, dass sie einen Impuls von außen aufnehmen, sich dadurch in spezifischer Weise verändern und die daraus erwachsende veränderte Wirkung wiederum bei anderen eine vorherbestimmte Reaktion auslöst. Letztlich kam es also darauf an, für jede anstehende Aufgabe einen Stoff zu finden, der die jeweils erforderliche Wirkung entfaltete. So gesehen, könnte man die Entwicklung des Lebens durchaus auch als Geschichte der Botenstoffe beschreiben. Die Einzeller leisteten hier ganze Arbeit. Sie brachten Botenstoffe hervor, die innere Prozesse regulieren und solche, die die Nutzung von Informationen aus der Umwelt ermöglichen, sie schufen Lösungen, um Sonnenenergie in körpereigenen Strukturen zu speichern und bei Bedarf wieder freizusetzen und sie erlangten die Fähigkeit, sich aus eigener Kraft fortzubewegen.

Die erfolgreiche Entwicklung der Pflanzen mit ihrer großen Artenvielfalt basiert auf der Beherrschung der Photosynthese. Das gilt in gewissem Sinne auch für Pilze, die durch ihre Symbiose mit grünen Pflanzen an dieser Errungenschaft partizipieren. Allen Pflanzen, die Pilze eingeschlossen, ist gemeinsam, dass sie ihre Lebensprozesse zum größten Teil mit Hilfe von Botenstoffen regulieren. Die Botenstoffe werden mit Hilfe des Wassers, der Luft oder anderer Medien zu den Zellen transportiert, die tätig werden sollen. Wenn zum Beispiel in den Blättern das lebensnotwendige Wasser knapp wird, könnte eine Maßnahme darin bestehen, die Wurzeln tiefer zu treiben, um dort eventuell fündig zu werden. Natürlich geht das nur, wenn diese Reaktion im Bauplan der Pflanze als Fähigkeit angelegt ist. Die Information „Wassermangel“, möglicherweise in den Blättern der Baumkrone entstanden, löst die Produktion entsprechender Botenstoffe aus, die, in die Tiefenwurzeln gesandt, dort Wachstum veranlassen. Dazu werden die Botenstoffe mit Hilfe spezieller Zellen durch den gesamten Korpus des Baumes geleitet. In anderen Fällen wird die Luft als Transportmittel genutzt. Wenn zum Beispiel einzelne Blätter beginnen, Chlorophyll abzubauen, weil die Witterung herbstlich wird, dann senden sie Botenstoffe aus, die über die Luft zu anderen Blättern gelangen und dort analoge Prozesse bewirken. Auf diese Weise entsteht eine Kettenreaktion, die den gesamten Baum erfasst. Vielleicht werden auch Nachbarbäume einbezogen, Luft ist halt kein wirklich zielgenaues Transportmittel.

Eine andere große Erfindung der Einzeller war die Bewegung aus eigener Kraft, die mit völlig neuen Anforderungen an die Informationsprozesse einherging. Eigentlich hatte es ganz harmlos begonnen. Einige der in den Meeren lebenden Einzeller hatten Ausstülpungen ihrer Hülle gebildet, die sie bewegen konnten. Durch diese Bewegungen entstanden im Wasser kleine Wellen, auf denen die Zelle davonschwebte. Für die Bewegung der Ausstülpungen ist jedoch Energie erforderlich, und die ist ein rares Gut. Der Einsatz von Energie musste deshalb auf solche Situationen begrenzt bleiben, die einen Ortswechsel tatsächlich notwendig machten. Dieser wird für einen Einzeller dann wichtig, wenn am gegebenen Aufenthaltsort die Stoffe zum Überleben knapp werden. Ein solcher Mangel ruft deshalb die Bildung von Botenstoffen hervor, die die Ausstülpungen in Bewegung setzen. Die Bewegungen waren jetzt zwar zweckgebunden, aber noch immer ziellos. Um ihnen ein Ziel geben zu können, mussten die Einzeller Sensoren entwickeln, die auf Nährstoffe reagieren. Trifft nun ein Atom oder Molekül mit einer entsprechenden Struktur auf eine sensibilisierte Stelle der Außenhaut, dann wird dort eine Reaktion ausgelöst, die zur Bildung des Botenstoffs führt. Dieser Botenstoff wird zu den Ausstülpungen geleitet, wo er deren Bewegung veranlasst. Welcher Sensor welche Ausstülpung aktiviert, um die georteten Nährstoffe zu erreichen, ist im Bauplan der Zelle festgelegt.

In der weiteren Entwicklung entstanden mehrzellige Wesen, die ihre Überlebensstrategie auf Bewegung gründeten. Für die Fortbewegung dieser, Tiere genannten, Lebewesen waren Aktionen verschiedener Zellen zu koordinieren, das heißt, die Informationen respektive Botenstoffe mussten auf viele Zellen, die sich an unterschiedlichen Orten im Organismus befanden, verteilt werden. Transporte durch die Luft oder mit Hilfe von Wasser sind relativ langsam und außerdem unsicher. Das mag für den Baum, der am selben Platz verharrt, kein Problem darstellen, für ein Tier, das sich bewegen will, schon. Es musste ein anderes Transportmittel gefunden werden, das die schnelle und zielgenaue Verbreitung der Informationen im gesamten Organismus ermöglichte. Dafür kamen elektrische Impulse in Frage, die über Leitungssysteme aus Nervenzellen eine schnelle und zielgenaue Weiterleitung der Informationen ermöglichten. Die Verbindungen zwischen den Nervenzellen wie auch zwischen den Nervenzellen und den anderen Körperzellen wurden weiterhin mit Hilfe von Stoffen gesichert, die den elektrischen Impuls aufnehmen, sich verändern und die veränderte Wirkung auf die folgende Zelle übertragen. Ist die folgende Zelle ebenfalls eine Nervenzelle, wird erneut ein elektrischer Impuls ausgelöst, der die Information weiterleitet. Ist die folgende Zelle eine Muskelzelle, kann die ankommende Wirkung beispielsweise eine Kontraktion und damit eine Bewegung hervorrufen.

Informationen über die Umwelt entstehen in Sensorzellen, die sich meist auf der äußeren Hülle befinden. Eine solche Information könnte beinhalten, dass Fressbares aufgetaucht ist. Für ein Tier gilt es nun, aus dieser Information eine zielgerichtete Aktion werden zu lassen, die mit der angestrebten Nahrungsaufnahme endet. Dazu muss es feststellen, woher die Information kam und welche Bewegungen in Richtung der erhofften Beute erforderlich sind. Falls diese ein Tier ist, muss es gefangen werden. Dazu braucht der Jäger seine Muskeln, vielleicht auch seine Waffen, für deren Einsatz genügend Energie bereitstehen muss. Das heißt, die Energiebereitstellung, aber auch die Verdauung, sind auf die zu erwartenden Aufgaben einzustellen. Für die Jagd sind also eine Reihe von Aktivitäten zu koordinieren, weshalb die Information „Fressbares aufgetaucht“ planmäßig im Organismus verteilt werden muss. Zu diesem Zweck bildete sich ein Netz von Nervenzellen, das in seiner Struktur den Ablauf des Prozesses, in unserem Fall der Jagd, abbildet. Nimmt nun ein Sensor der Außenhaut Fressbares in der Umwelt wahr, dann generiert er einen elektrischen Impuls, der über dieses neuronale Netz im Körper verteilt wird. Bei den Empfängern des Impulses wird die Produktion von Botenstoffen in Gang gesetzt, welche nun ihrerseits die entsprechenden Organe, Extremitäten und sonstigen Mitspieler aktivieren.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Jagd ist, dass eine mögliche Beute geortet wurde, das heißt, den Bewegungen eine Richtung gegeben werden kann. War es bei den Einzellern noch möglich, dass ein Signal eine bestimmte Ausstülpung der Hülle aktivierte, um die Bewegung in die erforderliche Richtung zu lenken, so sind bei mehrzelligen Wesen die Aktivitäten einer ganzen Reihe von Zellen zu koordinieren, denen allesamt eine Richtung vorgegeben werden muss. Um diese allgemeingültig bestimmen zu können, musste der Raum selbst eine Ausrichtung erhalten. Vorn und hinten ließen sich definieren, indem der Körper voneinander unterschiedene Teile ausprägte. Einige spezialisierte Zellen, zum Beispiel zur Nahrungsaufnahme, wurden an dem einen Ende konzentriert, andere, zum Beispiel zum Ausscheiden der Abfälle, am anderen. Da für das Auffinden und Einverleiben der Nahrung möglichst viele Informationen aus der Umwelt erforderlich sind, siedelte sich die Mehrzahl der Sensoren auf dieser Seite des Körpers an. Sie befanden dann auch: wo wir sind, ist vorn. Die Ausscheidung erfolgt nach der Verdauung, also hinten. Oben und unten ließen sich durch die  Schwerkraft bestimmen. Außerdem bildeten sich bei den meisten Arten zwei beinahe gleiche Körperseiten aus, die die seitlichen Dimensionen der Bewegung erschlossen. In diesem Koordinatensystem konnte nun eine Vielzahl von Bewegungsrichtungen definiert werden.

Die ersten Tiere lebten im Wasser, Bewegungen waren aber nicht nur dort, sondern auch im und auf dem Meeresboden möglich. Das heißt, unter Umständen war eine Bewegung nicht nur durch ihre Richtung definiert, sondern auch durch das Medium, in dem sie erfolgen sollte. Für alle Bewegungsvarianten mussten spezielle neuronale Netze zur Steuerung vorgehalten werden, mit der Folge, dass vor dem Beginn einer Aktion das am besten geeignete Bewegungs- oder Verhaltensmuster auszuwählen war. Zur Erleichterung dieser Aufgabe wurden die entsprechenden neuronalen Strukturen in Gehirnen, das heißt auf engem Raum konzentriert. Sie fanden in der Nähe des Ortes ihren Platz, an dem auch die meisten Sinnesorgane angesiedelt waren. Ein Kopf bildete sich heraus, der das Gehirn, die Organe zur Nahrungsaufnahme sowie die Mehrzahl der Sinnesorgane versammelte. Er wurde zur Steuerungszentrale des Organismus. Wegbereiter all dieser Neuerungen waren urzeitliche Würmer, die sich damit einen Platz in unserer Ahnengalerie sicherten.

Mit der Herausbildung der Gehirne differenzierten sich auch die Aufgaben der Nervenzellen. Eine Gruppe dieser Zellen übernahm die Speicherung der Bewegungs- und Verhaltensmuster sowie der mit ihnen verbundenen Erfahrungen. Diese Nervenzellen mussten in der Lage sein, die entstandenen neuronalen Strukturen zu festigen, wenn deren Bedeutung für das Leben wuchs. Sie mussten aber auch Verbindungen wieder lösen können, sollten sie nicht mehr benötigt werden. Eine andere Gruppe von Nervenzellen spezialisierte sich auf die Vernetzung der nach und nach entstehenden Hirnbereiche. Sie mussten vor allem in der Lage sein, eine Vielzahl derartiger Verbindungen herzustellen, das heißt das Networking im Gehirn zu sichern. Eine dritte Gruppe schließlich blieb für den Transport der Informationen im Körper zuständig. Zu diesem Zweck bildeten sie einen Strang, gewissermaßen eine Datenautobahn, der die gesamte Länge des Körpers durchzog. Von diesem Strang gehen Verzweigungen in beinahe alle seine Teile, so dass die Informationen schnell und umfassend verteilt werden können.

Wird nun ein Umweltreiz, zum Beispiel eine potenzielle Beute, registriert, das heißt, ein Sensor, sagen wir der Geruchssinn, spricht an, dann sendet er diese Information in Form eines elektrischen Impulses über die Nervenleitungen an das Gehirn. Dort aktiviert der Impuls das dieser Wahrnehmung zugeordnete Verhaltensmuster. Das entsprechende neuronale Netz veranlasst die Produktion von Botenstoffen, mit denen die für die bevorstehende Aktion erforderlichen Organe beziehungsweise Zellen aktiviert werden. Eine derartige Kopplung einzelner Signale mit vorherbestimmten Verhaltensmustern ist insbesondere für Insekten und Krebse typisch. Sie ist genetisch fixiert und damit für alle Tiere einer Art in gleicher Weise vorgegeben. Wie ist das aber mit der Bewegung dieser Tiere? Basiert sie ebenfalls auf festgelegten Mustern? Wenn eine Ameise den Weg zurück zu ihrem Volk sucht, zum Beispiel weil das gefundene Blatt abgeliefert werden soll, dann folgt sie einem fest verankerten Verhaltensmuster. In ihren Bewegungen, ihrem Lauf durch den Wald muss sie aber die konkreten Gegebenheiten des Weges berücksichtigen, will sie ihr Ziel erreichen. Vielleicht muss sie über einen Zweig klettern oder eine abschüssige Stelle überwinden. Das Verhaltensmuster, Blatt nach Hause bringen, wird deshalb mit kleinteiligen Bewegungsmustern für jeden Abschnitt der Gesamtbewegung untersetzt. Diese Teilbewegungen sind ebenfalls in neuronalen Netzen angelegt, ihre jeweilige Kombination erfolgt jedoch in Anpassung an die konkrete Situation. Mit anderen Worten, Zielgebung oder Verhaltensmuster und Ausführung, das heißt Bewegungsmuster basieren auf getrennt voneinander existierenden neuronalen Strukturen, die sich im Laufe der Entwicklung auch in unterschiedlichen Bereichen des Gehirns konzentrierten.

zuletzt geändert: 03.0.2019

Bild: Reitender Bote nach A. Dürer, gefunden: de.academic.ru

Odins Raben

 

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Die Welt der nordischen Götter ist vielgestaltig. Jedes der sie verehrenden Völker brachte eigene Anschauungen und Legenden in diese Welt ein. Einige der Götter gewannen im Laufe der Zeit an Bedeutung, andere wurden beinahe vergessen. Die Vikinger, zum Beispiel, bewunderten und verehrten Odin als den Meister der Götterwelt. Dieser kriegerische Gott, der Kampf und Zwietracht über alles liebte, ließ die Kämpfer zu rasenden Ungeheuern werden, die das eigene Leben nicht achteten. Die Vikinger verehrten ihn wohl auch deshalb, weil der Kampf zu ihrem Leben gehörte. Ackerbau, Viehzucht und auch die Jagd waren mühselig und konnten sie kaum ernähren. Es ist daher nicht verwunderlich, dass gerade junge Leute auf Raubzüge sannen, um sich zu beweisen und auch, um auf diese Weise einen Beitrag zum Überleben der Sippe zu leisten. Gleichzeitig mussten die Sippen selbst vor räuberischen Nachbarn auf der Hut sein. Man brauchte zum Überleben daher nicht nur Unerschrockenheit und Kampferfahrung sondern auch Wissen über die Feinde und deren Absichten. Odin bediente sich zweier Raben, die er aussandte, um Neuigkeiten zu sammeln und ihm zuzutragen. Die Raben hießen Hugin, was soviel bedeutet wie „Gedanke“, und Munin „Erinnerung“.1)

Die Raben flogen aus und kamen mit Informationen zu ihrem Herrn zurück. Sie wussten also, wer ihr Herr war und wo sie ihn finden würden. Sie erkannten Neuigkeiten und konnten diese Informationen erinnern. Das sind erstaunliche Fähigkeiten. Offensichtlich war bereits den Vikingern aufgefallen, dass Raben ganz besondere Vögel sind. Tatsächlich nötigt auch uns Heutigen die Schlauheit der Raben Bewunderung ab. Sie besitzen eine erstaunliche Merkfähigkeit, die sie befähigt, Futterverstecke über lange Zeit zu erinnern. Ihnen ist auch klar, dass andere ihre Vorräte rauben könnten, jedenfalls achten sie darauf, dass sie beim Anlegen von Verstecken nicht von anderen Raben beobachtet werden. Wahrscheinlich haben sie aus der Erfahrung, bestohlen worden zu sein, die Schlussfolgerung gezogen, Vorsicht walten zu lassen. Diese Erkenntnis vermögen sie an den Nachwuchs weiterzugeben, der auf diesem Wege diesen und manch anderen Trick des Lebens lernt.

Man könnte natürlich vermuten, dass es sich um angeborene Verhaltensweisen handelt. Dem steht entgegen, dass es viele Beispiele gibt, die zeigen, wie sich Raben und Krähen eine konkrete Situation zu nutze machen, um an Nahrung zu gelangen. Sie locken Vögel mit fiesen Tricks von ihren Nestern weg, um die Gelege auszurauben. Sie sind zur Stelle, wenn ein Schuss fällt, der auf eine Jagdgesellschaft schließen lässt, oder wenn Wölfe heulen, denn es könnte ja ein Brosamen für sie abfallen. Raben nutzen Werkzeuge, gegebenenfalls auch den Straßenverkehr, um Nüsse oder Früchte zu knacken. Aber nicht nur die kluge Nutzung von Gegebenheiten gehört zu ihrem Repertoire, sie sind auch Meister der arglistigen Täuschung. In einem Experiment ließ man zwei Raben zusehen, wie in einem Gehege Futter versteckt wurde.2) Wurde der Zugang zu diesem Gehege geöffnet, setzte ein regelrechtes Wettrennen um die Leckerli ein. Bei einigen Versuchen konnte nur ein Rabe zusehen, wie das Futter versteckt wurde. Der andere Rabe war ahnungslos, was dem Bevorteilten nicht verborgen blieb. Wurde nun der Zugang zum Gehege geöffnet, spurtete der Rabe mit dem Wissensvorsprung nicht etwa auf das Futter los, denn das hätte mit Sicherheit die Aufmerksamkeit des Rivalen geweckt. Er nahm sich vielmehr Zeit und kam, oh welch ein Zufall, genau dann an dem Versteck vorbei, als der andere Rabe weit entfernt war. Jetzt brauchte er den gefräßigen Konkurrenten nicht zu fürchten.

Raben haben offensichtlich auch ein Bild von sich selbst und von anderen Individuen ihrer Art. Sie begrüßen Artgenossen, die sie nicht kennen, mit einer deutlich tieferen und rauheren Stimme als Raben, die ihnen vertraut sind. Ihnen bekannte „freundliche“ Raben werden mit höherer Stimme begrüsst als bekanntermaßen „unfreundliche“.3) Das heißt, sie erkennen die unterschiedlichen Individuen, bewerten sie in ihrem Verhalten und können diese Bewertung erinnern. In einem Experiment wurde Raben ein roter Punkt aufgeklebt. Dann wurde ihnen ein Spiegel vorgesetzt. Sie erkannten sich und den roten Punkt an ihrem Federkleid und versuchten, diesen wegzupicken. Sie hatten also verstanden, dass das Spiegelbild ein Abbild ihrer selbst war und der rote Punkt dort nicht hingehörte.4) Diese Beispiele zeigen, dass Raben über eine hervorragende Merk- und Lernfähigkeit verfügen, dass sie mit Artgenossen kommunizieren und dass sie in der Lage sind, Schlussfolgerungen zu ziehen oder auch sich selbst zu erkennen. Das sind anspruchsvolle geistige Leistungen, die demnach kein Alleinstellungsmerkmal höherer Säugetiere sind.

Auf der anderen Seite haben wir bereits gesehen, dass Krebse und Insekten zwar komplizierte Verhaltensmuster beherrschen und ihre Umwelt vielfältig wahrnehmen, dass die jeweiligen Wahrnehmungen aber relativ starr mit vorgeprägten Verhaltensmustern verknüpft sind. Ein Lernprozess des einzelnen Individuums findet nicht statt. Die Fliege wird auch zum hundersten Mal an die Scheibe krachen, weil der Reiz der Helligkeit sie lenkt. Sie kann auch um den Preis tötlicher Erschöpfung nicht begreifen, dass mit der Scheibe ein unüberwindliches Hindernis den Weg versperrt. Die Fliege ist also nicht in der Lage, aus den vorausgegangenen Fehlversuchen zu lernen.

Die Fähigkeit, aus Erfahrung klug zu werden, das heißt zu lernen, setzt die Fähigkeit des Erinnerns voraus. Diese Fähigkeit ist vor allem für Wirbeltiere charakteristisch, die vor 540 Millionen Jahren ihren Weg begannen. Zu den ersten Wirbeltieren zählen die Fische. Fische werden gemeinhin nicht als sonderlich intelligent angesehen, und doch haben Beobachtungen an heutigen Arten beachtliche geistige Leistungen gezeigt. Man konnte zum Beispiel Goldfische dressieren, dass sie einen Ball mit Stirn und Maul in ein Tor bugsieren. Dressur setzt Erinnerung voraus. Drückerfische nutzen spezielle Steine um Seeigel, ihre Hauptnahrung, zu knacken. Dieses Wissen geben sie sowohl an andere wie auch an ihren Nachwuchs weiter.5) Bei Putzerfischen hat man entdeckt, dass sie sich je nach Situation unterschiedlich verhalten. Ihre Erfahrung lehrt sie, eine Situation zu bewerten und ihr Verhalten entsprechend anzupassen.

Aber nicht nur Wirbeltiere sind zu erstaunlichen geistigen Leistungen fähig. Als die intelligentesten wirbellosen Tiere gelten Kopffüßer, insbesondere Kraken. Sie sind ebenfalls lernfähig und haben ein beachtliches räumliches Gedächtnis. Kraken sind Meister der Tarnung und des Sichversteckens. Sie erfassen besondere Gegebenheiten und nutzen diese, um an Futter zu gelangen. Diese Fähigkeit setzt voraus, dass sie eine Beobachtung mit einem erwarteten Ergebnis verbinden können. So sind Kraken in der Lage, Gegenstände aus einem verschlossenen Glas herauszuholen, indem sie den Deckel abschrauben.6) Tintenfische haben gelernt, die Hummerfallen der Fischer auszuräumen und Kraken entern schon mal ein Fischerboot, um sich vor der Nase der Fischer an deren Fang gütlich zu tun. Damit der Plan gelingt, tarnen sie sich gekonnt.

Kraken planen und täuschen – tun sie das bewusst? Bei der Frage nach dem Bewusstsein von Tieren geht man, unausgesprochen, vom Menschen aus. Der Mensch gehört zu den Wirbeltieren, deren Geschichte unter anderem durch die Entwicklung des Gedächtnisses geprägt ist. Demnach wäre es nachvollziehbar, die Entstehung des Bewusstseins mit der Geschichte der Wirbeltiere zu verbinden. Doch wie sind dann die geistigen Leistungen der Kraken zu bewerten? Wirbeltieren und Weichtieren ist gemeinsam, dass sie Nervenzellen besitzen, die sich zu neuronalen Netzen verknüpfen. Ist etwa bereits die Entstehung von neuronalen Netzen die Geburtsstunde des Bewusstseins? Doch wie ordnen wir dann Quallen und Insekten ein, die ebenfalls über neuronale Strukturen gesteuert werden, die aber nicht über ein Gedächtnis verfügen? Wir kommen mit dieser Frage nur weiter, wenn wir klären, was unter „Bewusstsein“ zu verstehen ist.

zuletzt geändert: 03.09.2019

1) Wikipedia, Stichwort „Hugin und Munin“

2) GEO kompakt Nr. 28, Seite 98, Sebastian Witte – Vögel was sie wohl denken? 2011

3) Wikipedia, Stichwort „Kolkrabe“

4) Wikipedia, Stichwort „Raben und Krähen“

5) www.welt.de, Elke Bodderas, Fische sind intelligent – nicht nur im Schwarm, Interview mit Prof. Jens Krause, 10.01.2011

6) Wikipedia, Stichworte „Intelligenz von Kopffüßern“ sowie „Kopffüßer“

Bild: Wikipedia by Sigurdur Atlason, gefunden unter www.der-silberne-zweig.de

Ein etwas anderes Tier

Man hat immer wieder versucht, das Besondere herauszuarbeiten, das die Menschen von den Tieren und insbesondere von unseren nächsten lebenden Verwandten, den Menschenaffen, unterscheidet. Die jeweils gefundenen Einzigartigkeiten hatten oft nicht lange Bestand. Je mehr man über die Tiere lernte, desto mehr wurde klar, dass die Fähigkeiten der Menschen bereits im Tierreich vorhanden beziehungsweise in der einen oder anderen Form angelegt sind.

Ein Merkmal beinahe aller Tiere ist die Fähigkeit zur Bewegung im Raum. Für Bewegung braucht man Energie, die permanent verfügbar sein muss. Das gilt umso mehr als jederzeit eine Gefahr auftauchen kann, auf die umgehend reagiert werden muss. Deshalb bilden und speichern die Tiere Stoffe, bei deren Verbrennung sofort die benötigte Energie freigesetzt wird. Die in diesen Stoffen gebundene Energie muss aber irgendwo herkommen, das heißt, sie muss von außen aufgenommen worden sein. Als Ressource kommt vor allem das Sonnenlicht in Frage, da es fast überall verfügbar ist. Nur leider sind Tiere nicht in der Lage, das Sonnenlicht für die Bildung körpereigener Energieträger zu nutzen. Das können nur Pflanzen, weshalb viele Tiere sie zum Fressen gerne haben. Im Zuge der Verdauung wandeln sie die pflanzlichen in körpereigene Stoffe mit einer höheren Energiedichte um. Manche sparen sich diesen mühsamen Weg und fressen gleich das energiedichte Fleisch anderer Tiere. So oder so, am Ende der Nahrungskette stehen, zumindest außerhalb der Meere, immer Tiere, die sich von Pflanzen ernähren. Die Pflanzen sind wiederum auf Mikroorganismen angewiesen, die ihnen helfen, die für den eigenen Aufbau erforderlichen Stoffe aus der Umwelt zu gewinnen.

Nährstoffe bestehen, wie alles andere auch, aus Atomen und Molekülen. Man schätzt, dass Menschen aus zirka 10 hoch 27 (also 1 und 27 Nullen) Atomen bestehen. Diese Atome sind bereits in der Anfangsphase des Universums entstanden, das heißt, sie sind mehr als 4 Milliarden Jahre alt. Jeder Mensch besteht also aus Teilen, die so alt sind wie das Universum selbst. Kein Wunder, dass man sich manchmal uralt fühlt. Von allen Atomen gehen mehr oder weniger starke Wirkungen aus, die unter anderem dazu führen, dass sie sich zu Molekülen verbinden. Auch von den Molekülen gehen Wirkungen aus, die sie zu Bestandteilen größerer Strukturen werden lassen. Einige von ihnen verirren sich auch in den einen oder anderen Menschen. Hinzu kommt, dass so ein Mensch mit seiner Umwelt interagiert, zum Beispiel in dem er Luft einatmet, isst und trinkt und dabei Unmengen von Stoffen zu sich nimmt, verarbeitet und irgendwann auch wieder ausscheidet. Ein Organismus muss also in der Lage sein, eine Vielzahl von Stoffen samt ihrer Wirkungen auszuhalten. Diese Fähigkeit wurde in einem Milliarden Jahre währenden Kampf um die Fortexistenz des Lebens erworben und immer weiter perfektioniert. Trotzdem ist sie nicht grenzenlos. Einige Atome und Moleküle können dem Organismus durchaus gefährlich werden, zumal wenn sie in geballter Ladung auftreten. Was eine geballte Ladung ist, kann dabei unterschiedlich bemessen sein. Von manchen Stoffen, die man wegen ihrer Wirkung auf den Organismus als Gifte bezeichnet, reichen kleinste Mengen, um diesen außer Gefecht zu setzen. Andere werden erst bei einer bestimmten Konzentration im Organismus bedrohlich. Selbst lebenswichtige Stoffe, wie das Salz, können in übergroßen Mengen verabreicht, irreversible Schäden verursachen.

Organismen sind Zellverbünde, in denen sich die einzelnen Zellen auf unterschiedliche Aufgaben spezialisiert haben, um so zur Fortexistenz des Ganzen beizutragen. Gleichzeitig sind diese Zellen nur noch im Verbund überlebensfähig. Der Zellverbund Mensch besteht aus schätzungsweise 10 hoch 14 Zellen, die sich einander angepasst und auf einzelne Aufgaben spezialisiert haben.1) Der Organismus sichert ihr Überleben, weshalb sie das ihrige beitragen, ihn zu erhalten. Trotzdem hat jede Zelle ihr eigenes von Werden und Vergehen bestimmtes Dasein. Bei einem erwachsenen Menschen sterben in jeder Sekunde rund 50 Millionen Zellen und neue werden in ähnlicher Größenordnung gebildet.1) Das Leben eines Menschen ist also durch das ununterbrochene Massensterben seiner Zellen genauso geprägt, wie durch deren permanente Neuerschaffung. Dahinter steht eine grandiose logistische Leistung, denn die Aufbaustoffe für die Zellen müssen bereitgestellt und die Abfallstoffe beseitigt werden. Das Ganze funktioniert, weil jede einzelne Zelle ihren definierten Platz im Organismus hat und die mit ihm verbundenen Aufgaben mehr oder weniger selbsttätig wahrnimmt.

Die Billionen von Zellen, aus denen ein Mensch besteht, sind natürlich nicht alle auf eine jeweils andere Aufgabe spezialisiert. Die Aufgaben, die die Zellen im Organismus wahrzunehmen haben, lassen sich eher mit einigen Hundert angeben. In der Regel ist es auch nicht eine einzelne Zelle, die eine spezielle Aufgabe übernimmt. Sie bilden vielmehr ihrerseits Verbünde, die als Gesamtheit bestimmte Funktionen im Organismus erfüllen. Diese Funktionseinheiten sind wiederum nicht nur aus einem Zelltyp aufgebaut, auch hier bilden in aller Regel Zellen mit unterschiedlichen Eigenschaften ein Ganzes. Diese Einheiten können von einem zentralen Platz im Organismus dem Ganzen dienen, wie die inneren Organe, sie können ihn aber auch gänzlich bedecken, wie die Haut, oder ihm inneren Halt und Beweglichkeit verleihen, wie das Skelett mit Muskeln, Sehnen und Bändern. Darüber hinaus gibt es Systeme, die den ganzen Korpus durchziehen und die Zellen mit Wasser, Sauerstoff, Brennstoff und Mineralien versorgen, oder eben den Abfall beseitigen. Alle Organe, Apparate und Systeme sind relativ eigenständige Einheiten. Sie sind aber auch Funktionseinheiten des Ganzen und müssen daher den unterschiedlichen Anforderungen, die der Organismus in den verschiedenen Lebenssituationen an ihr Wirken stellt, gerecht werden. Für die Koordinierung ihrer Tätigkeit hat sich eine spezielle Einheit, das Gehirn, herausgebildet, das über Sinneszellen und Nervenbahnen Informationen sammelt und die Aktivität der Funktionseinheiten steuert.

Neben der Unmenge von Zellen, aus denen ein Mensch besteht, bevölkern ihn auch noch Heerscharen von Mikroorganismen. Man schätzt, dass eine Billiarde dieser Winzlinge in und auf einem erwachsenen Menschen leben. Das sind weit mehr als er eigene Zellen hat. Im Unterschied zu den Zellen, die unlöslich zum Verbund Mensch gehören und auch von ihm versorgt werden, sind die Mikroorganismen eher als dessen Partner zu verstehen. Sie sind zwar auf der einen Seite von dem Organismus, dem sie zugehören, abhängig, auf der anderen Seite versorgen sie sich in dieser spezifischen Umwelt eigenständig. Zu ihrem Dasein gehört, dass sie Nachkommen hervorbringen und selbst irgendwann sterben. Natürlich bewegen sie sich auch in ihrer Umwelt, also im und auf dem Korpus Mensch, und sie nehmen diesen ihren Erfordernissen entsprechend wahr. Viele dieser Mikroorganismen mögen den Organismus Mensch in seiner Gesamtheit kaum beeinflussen. Einige von ihnen sind jedoch überlebenswichtig, zum Beispiel weil sie helfen, die aufgenommene Nahrung zu zersetzen und der Energiegewinnung zuzuführen. Allerdings gibt es auch die anderen, die den Organismus angreifen und ihn schwächen, ihm vielleicht sogar den Garaus machen.

Mikroorganismen sind aus der Entwicklungsgeschichte des Lebens nicht wegzudenken. Sie steuerten in ihrer rund 3,5 Milliarden Jahre währenden Existenz viele Innovationen bei, die zur Voraussetzung für die weitere Entwicklung wurden. Sie brachten zum Beispiel Botenstoffe hervor, um mit ihrer Hilfe Veränderungen in der Zelle planvoll zu steuern, sie erfanden die Atmung, das heißt, die Aufnahme von Sauerstoff zur Energiegewinnung durch Verbrennung und sie lernten, sich zu bewegen und selbsttätig nach Nahrung zu suchen. Für diese Suche brauchten sie Sensoren, die sie mit Informationen aus der Umwelt versorgen. Bereits diese wenigen Beispiele zeigen, dass die Mikroorganismen nicht nur die ersten Lebewesen auf Erden waren, sondern dass sie auch die Basis für die weitere Entwicklung des Lebens schufen.

Die Entwicklung des Lebens blieb aber nicht bei den Einzellern stehen. Zellverbünde, das heißt, Organismen in Form von Pflanzen und Tieren, entstanden, die seit nunmehr 1,8 Milliarden Jahren das Bild unseres Planeten prägen. Es waren zum Beispiel urzeitliche Würmer, die als erste Nervenzellen zur schnellen und zielsicheren Signalübertragung ausbildeten. Mit Hilfe dieser Zellen konnten neuronale Netze zur Steuerung von Bewegungen angelegt werden, die in einem speziellen Teil des Körpers, dem Kopf, konzentriert wurden. Fische, die seit rund 450 Millionen Jahren durch die Meere schwimmen, schützten das auf diese Weise entstandene Gehirn mit einem Schädel, genauso wie sie ein ausgefeiltes Stützsystem für den Körper hervorbrachten. Sie wurden zu Urahnen der Wirbeltiere, zu denen auch die Menschen zählen. Mit dem Landgang der Tiere vor rund 400 Millionen Jahren kam die Lungenatmung ins Spiel. Außerdem entwickelten sich die Extremitäten weiter, so dass Bewegungen in unterschiedlichem Umfeld möglich wurden. Die Landgänger bildeten darüber hinaus komplexe Sinnesorgane aus, mit denen sie eine große Vielfalt an Informationen aus ihrer Umwelt gewannen. Diese Informationen mussten eingeordnet und bewertet werden, was nur mit Hilfe von Erfahrungen, die in ähnlichen Situationen gemacht worden waren, zeitnah gelingen konnte. Außerdem stellte sich heraus, dass es vorteilhaft ist, die Brut im Mutterleib reifen zu lassen und lebend zu gebären. Durch diese Neuerung wurden die Überlebenschancen des Nachwuchses deutlich besser, so dass dessen Zahl zurückgehen konnte. Allerdings musste nun die nachgeburtliche Fürsorge intensiviert und den Neugeborenen eine leicht adaptierbare, nährstoffreiche Nahrung, eine Muttermilch, gegeben werden.

Zu den Säugetieren gehört auch die Ordnung der Primaten, deren Anfänge weit in die Frühzeit der Evolution zurückreichen. Die Geschichte der Primaten weist vor etwa sieben Millionen Jahren eine Zäsur auf. Durch klimatische Veränderungen waren die großen Wälder Afrikas auf dem Rückzug und Savannen bedeckten weite Flächen des Kontinents. In Anpassung an die unterschiedlichen Lebensräume teilte sich eine bereits hochentwickelte Spezies von Primaten in zwei Gruppen. Die einen lebten weiterhin in den verbliebenen Wäldern, die anderen passten sich dem Leben in den Savannen an. Sie perfektionierten das Laufen auf zwei Beinen, da sie so über das hohe Gras hinausschauen und Raubtiere beizeiten erkennen konnten. Außerdem hatten die aufrecht Gehenden die Hände frei, die sie nun nutzten, um Pflanzen, Wurzeln und Früchte zu sammeln oder nach Muscheln, Algen und Schnecken zu suchen. Aber auch Insekten und andere Kleintiere sowie Eier wurden nicht verschmäht. Der mit dem aufrechten Gang verbundene gute Überblick mag sie auch in die Lage versetzt haben, verletzte oder verendete Tiere von weitem zu erspähen. Alllerdings waren sie nicht die einzigen, die nach einer derartiger Beute Ausschau hielten. Einige der Konkurrenten konnten aus luftiger Höhe viel früher die begehrte Mahlzeit orten. Andere waren bessere Läufer und eher am Ziel, so dass die diesbezüglichen Anstrengungen unserer frühen Vorfahren wohl nur selten von Erfolg gekrönt wurden. Die Konkurrenten ließen ihnen nur geringe Fleischreste zurück, die sie immerhin mit scharfkantigen Steinen von den Knochen schaben konnten. Außerdem bargen die Knochen einen Schatz, das fett- und mineralstoffreiche Mark, das man allerdings nur erreichen konnte, wenn man die Knochen aufbrach. Dazu konnten spitze Steine oder solche mit scharfen Kanten benutzt werden. Da diese nicht überall zu finden waren, musste man die vorgefundenen Steine irgendwie bearbeiteten, damit sie zu brauchbaren Werkzeugen würden.

Vor zirka 2,5 Millionen Jahren traten erneut klimatische Veränderungen ein, die mit  wiederkehrenden Trockenperioden verbunden waren. Die Pflanzen bildeten nun härtere Schalen aus, um sich vor Austrocknung zu schützen. Um diese Pflanzen trotzdem als Nahrung nutzen zu können, entwickelten einige Gruppen der in den Savannen lebenden Primaten einen gewaltigen Kauapparat mit starken Kiefern und breiten Zähnen. Als sich die klimatischen Verhältnisse wieder normalisierten, wurde dieser überdimensionierte Kauapparat überflüssig, ja hinderlich. Er verschwand und mit ihm die durch ihn gekennzeichneten Arten. Andere Gruppen unserer frühen Vorfahren hatten Werkzeuge benutzt, um die harten Schalen der Pflanzen zu zerkleinern. Nach der neuerlichen Veränderung der natürlichen Bedingungen konnten sie ihre Werkzeuge modifizieren, ohne dass sie als Art gefährdet waren. Die mit den Werkzeugen gewonnene Flexibilität erwies sich als ein entscheidender Vorteil bei der Anpassung an sich verändernde Existenzbedingungen.

Die Werkzeuge wie auch die Jagdgeräte wurden im Laufe der Zeit immer weiter verbessert, so dass auch mehr tierische Nahrung beschafft werden konnte. Diese Nahrung mit ihrem Reichtum an Energie und Mineralien trug dazu bei, dass die Individuen, wie auch ihre Gehirne, größer wurden. Ihr intellektuelles Potenzial nahm zu, was sich unter anderem in einer weiteren Verbesserung der Werkzeuge und Jagdgeräte niederschlug. Das Wissen um deren Herstellung und Verwendung wurde zu einem überlebenswichtigen Schatz, den es zu bewahren, das heißt weiterzugeben, galt. Die Weitergabe von Erfahrungen war mit höheren Anforderungen an die Kommunikation verbunden, deren Entwicklung wiederum Impulse zur Ausprägung der intellektuellen Fähigkeiten setzte. Schritt für Schritt bildete sich eine Spezies heraus, die die Werkzeuge den Anforderungen entsprechend modifizierte und gezielt einsetzte, die das Leben und Überleben der Gruppe gemeinschaftlich organisierte und die die Erfahrungen, die in der Gruppe gesammelt wurden, über die Generationen hinaus bewahrte. Damit hoben sie sich von ihren äffischen Vorfahren ab. Die aus dieser Entwicklung hervorgegangenen Arten werden deshalb einer neuen Gattung, der Gattung Mensch, zugerechnet.

zuletzt geändert am 30.07.2019

Quellen:

1) JoachimSchüring, Wie viele Zellen hat der Mensch, www.spektrum.de, 2003

2) GEOkompakt Nr. 41, Der Neandertaler, 2014

3) Josef H. Reichholf, Das Rätsel der Menschwerdung, dtv Wissen 1993

Bild: pinterest.com

Bewegung ist alles

harscher.de

Will man jemanden bestehlen, muss man sich bewegen. Mit diesem Satz könnte man die Lebensphilosophie der Tiere zusammenfassen. Objekt ihrer Begierde sind Stoffe, aus denen Energie gewonnen werden kann – Zucker, Fette, Eiweiße. Diese Stoffe hat zwar jemand anderes produziert und deren Diebstahl könnte dem Bestohlenen die Existenz kosten, aber so ist nun mal das Leben – des einen Freud des andern Leid. Die potenziellen Opfer werden allerdings nicht von sich aus angelaufen kommen, um gefressen zu werden. Im Gegenteil, man muss die mögliche Beute erst einmal ausfindig machen, dann muss man sie erhaschen und irgendwie der eigenen Verdauung zuführen. Ein solcher Beutezug bedarf einer zielgerichten Aktion, für die vielfältige Informationen erforderlich sind, die gesammelt, verarbeitet und im Handeln berücksichtigt werden müssen. So kommt eines zum anderen, und für alles braucht man Energie.

Werden von unserem Räuber Pflanzen als Beute bevorzugt, hat das den Vorteil, dass selbige nicht davonlaufen. Der Nachteil des Grünzeugs besteht darin, dass dessen Energiedichte zu wünschen übrig lässt. Das heißt, im Vergleich zum Körpergewicht müssen relativ große Mengen verzehrt werden, um den Energiehunger zu stillen. Fleisch hat eine höhere Energiedichte. Das ist der Stoff, aus dem die Träume sind. Nur diese Träume sind flüchtig, sie rennen, schwimmen oder fliegen einfach davon. Die Jäger müssen immer neue Strategien finden, um Beute zu erhaschen. Die Gejagten tun es ihnen nach, denn sie wollen entkommen und ihr Leben retten. Auf diese Weise wurde das Jagen und Gejagtwerden zum Motor für die Entwicklung immer neuer Fähigkeiten.

Die Strategie, andere Lebewesen als Energiequelle zu nutzen, ist vermutlich so alt wie das Leben selbst. Bereits im Zeitalter der Mikroorganismen entwickelten sich nicht nur Bakterien sondern auch Phagen, das heißt Viren, die Bakterien „fressen“. Allerdings sind sie nicht in der Lage, die Bakterien zu verstoffwechseln, um auf diese Weise Energie für ihr alltägliches Leben zu gewinnen. Ihre Strategie besteht darin, die eigenen Lebensprozesse zu minnimieren, um ohne Energienachschub zu überdauern. Die Inhaltsstoffe der Bakterien, in die sie eindringen, dienen praktisch ausschließlich der Erzeugung von Nachkommen. Um den Aufwand für die Umwandlung der erbeuteten Stoffe möglichst gering zu halten, spezialisieren sich die Phagen auf eine oder wenige Bakterienarten. Nur jagen können sie diese nicht, denn woher sollten sie die Energie dafür nehmen. Meister Zufall muss ihnen helfen und eine Wirtsbakterie mundgerecht servieren.

Ein neues Zeitalter brach an, als die Cyanobakterien die Fähigkeit entwickelten, mit Hilfe des Sonnenlichts Energiereservestoffe in Form von Zuckern aufzubauen und zu speichern. Diese Reservestoffe brachten ihnen Unabhängigkeit, da sie nun jederzeit über Energie verfügten. Die Zucker hatten jedoch einen gravierenden Nachteil, sie konnten auch von anderen Lebewesen verwertet werden. Dazu mussten diese nur lernen, wie die Zucker zur Energiegewinnung aufzuspalten sind. Eine Aufspaltung ist durch Verbrennung möglich. Der dafür erforderliche Sauerstoff war in zunehmenden Maße vorhanden, wurde er doch bei der Photosynthese von den Zuckerproduzenten produziert. Nun brauchte man noch einen Weg, um den Sauerstoff in den Organismus aufzunehmen, was tatsächlich einigen Bakterien gelang. Von da an wurden die Zucker und mit ihnen die Zuckerproduzenten zur heiß begehrten Beute.

Die als Beute auserkorenen Cyanobakterien, nicht dumm, taten sich zusammen, um den anderen das Beutemachen zu erschweren. Größere Räuber hatten am ehesten eine Chance, in diese Trutzbünde einzudringen. Voraussetzung war allerdings, dass sie selbst über die Fähigkeit verfügten, die erbeuteten Zucker in Energie zu verwandeln. Es zeigte sich, dass die einfachste Lösung dieses Problems darin bestand, Bakterien, die diese Fähigkeit entwickelt hatten, in den eigenen Zellaufbau zu integrieren. Derart aufgerüstete Räuber wurden zu einer großen Gefahr für die fleißigen Cyanos. Es war höchste Zeit, dass sie sich ebenfalls etwas Neues einfallen ließen. In ihren Kolonien lebten größere Bakterien, die die Fähigkeit zur Photosynthese erlangt hatten. Diese als Grünalgen bezeichneten Bakterien waren schon wegen ihrer schieren Größe schwerer angreifbar. Außerdem trennten sie sich im Prozess der Vermehrung nicht mehr völlig voneinander, so dass mehrzellige Gebilde entstanden, die den Räubern gut Paroli boten. Mehrzellige Organismen, die Zucker produzieren beziehungsweise die an dessen Produktion beteiligt sind, nennen wir Pflanzen. Nun waren wieder die Räuber am Zug. Sie bildeten ebenfalls mehrzellige Einheiten, die zu ganzheitlichen Organismen, Tiere genannt, heranwuchsen.

Die Entwicklung der Tiere vollzog sich anfänglich in zwei Richtungen. Die eine Gruppe war durch eine geringe Spezialisierung der beteiligten Zellen gekennzeichnet. Diese schwammartigen Gebilde bevölkerten vor 750 Millionen Jahren in großer Zahl die Ozeane. Sie bestanden aus Tausenden von Zellen, wuchsen auf Steinen und ließen durch unzählige Poren Wasser fließen, um Nahrhaftes herauszufiltern. Ihre Fähigkeiten gingen dabei kaum über die der Mikroorganismen hinaus. Trotzdem werden sie, da es mehrzellige Wesen waren, als erste Tierformen angesehen. Für die andere Gruppe wurde die fortschreitenden Spezialisierung der Zellen, die mit der Herausbildung von immer neuen Fähigkeiten einherging, charakteristisch. Unter diesen Fähigkeiten erlangte die Bewegung aus eigener Kraft besondere Bedeutung, da sie zur Grundlage für eine aktive Nahrungssuche wurde. Eine zielgerichtete Bewegung verlangt jedoch Informationen über die Welt, in der man sich bewegen will. Je flexibler die Bewegungen werden sollten, desto mehr Informationen wurden benötigt. Die Gewinnung und Verarbeitung von Informationen kann daher als Gradmesser des evolutionären Fortschritts angesehen werden.

Unter den noch heute lebenden Arten gelten Quallen als die ältesten komplexen Tiere. Sie schwimmen schon seit 750 Millionen Jahren durch die Meere, wo sie mit Hilfe ihrer Tentakeln Kleinlebewesen fangen. Für die Jagd muss die Qualle die Aktivitäten verschiedener Zellen koordinieren. Einige sind für die Bewegung des Körpers, andere für den Einsatz der Tentakeln zuständig, wieder andere sichern die Orientierung in der Umwelt oder die Erzeugung des Gifts, das die Opfer lähmen soll. Wird nun von einer Sinneszelle das Auftauchen einer möglichen Beute signalisiert, dann müssen alle an der bevorstehenden Jagd beteiligten Zellen informiert, das heißt, in Bereitschaft versetzt werden. Diese Aufgabe übernehmen Nervenzellen, die in Form von neuronalen Netzen den ganzen Körper durchziehen. Ist die Beute in Reichweite, kann die Jagd beginnen, das heißt, die in Bereitschaft befindlichen Zellen werden in einer festgeschriebenen Abfolge zur Aktion veranlasst.

Ein Information – eine Reaktion, dieses einfache Schema war, wie man bei den Quallen sieht, überaus erfolgreich. Es hat den Nachteil, dass kein Raum für die Anpassung des Verhaltens an unterschiedliche Bedingungen bleibt. Für eine solche Anpassung braucht man Alternativen, das heißt auf eine Information sind mehrere Reaktionen möglich. Hat man Alternativen, muss man sich jedoch für eine von ihnen entscheiden. Dafür sind Informationen erforderlich, die eine Bewertung der vorgefundenen Situation gestatten. Es könnte allerdings sein, dass die gewonnenen Informationen nicht eindeutig, vielleicht sogar widersprüchlich, sind. Dann müssen sie erst einmal miteinander verglichen und bewertet werden, bevor eine Entscheidung getroffen werden kann. Wenn sich die neuronalen Netze, wie bei der Qualle, über den gesamten Körper verteilen, sind für einen solchen Abgleich relativ lange Wege zurückzulegen, wodurch sich der Prozess verlangsamt und gleichzeit fehleranfällig wird. Vor rund 600 Milionen Jahren fanden urzeitliche Würmer eine Lösung des Problems. Sie nutzten nur einen Teil ihrer Nervenzellen für die Verteilung der Signale im Körper, während ein anderer Teil für die Verarbeitung der eingehenden Informationen zuständig wurde. Die von diesen gebildeten neuronalen Netze waren in einer kleinen Zentraleinheit, Gehirn genannt, konzentriert.

Weitere 60 Milionen Jahre später entstanden innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne viele neuartige Lebewesen, von denen einige bereits erstaunlich leistungsfähige Gehirne besaßen. Sie wiesen eine beachtliche Zahl von Nervenzellen auf, die in vielfältiger Weise miteinander verknüpft waren. Die Gehirne waren zu Schaltzentralen geworden, die eine ganze Palette neuronaler Netze verwalteten. Mit ihnen erlangten einige der frühen Tierarten eine beachtliche Flexibilität bei der Anpassung ihrer Bewegungen an unterschiedliche Bedingungen. Jede Bewegung ist allerdings in ein grundlegendes Verhaltensmuster, wie „Verfolgen“, „Einfangen“, „Fliehen“ oder ähnliches, eingebettet. Die Variationsbreite dieser Verhaltensmuster war noch sehr gering. Darüber hinaus waren sie direkt mit bestimmten Reizen von Sinneszellen verknüpft, so dass diesen Tieren nur wenig Spielraum für die Anpassung des Verhaltens an sich verändernde Gegebenheiten blieb.

In dieser Zeit entstand jedoch ein weiteres, eher unscheinbares Wesen, das den heutigen Neunaugen ähnelte. Es verfügte über ein aus Knorpeln bestehendes Stützsystem, eine zentrale Nervenbahn durch die Länge des Körpers und eine feste, das Gehirn schützende Schale. Dieses Wesen sollte zum Vorläufer der Fische und damit der Wirbeltiere werden, zu denen auch der Mensch gezählt wird. Ein Merkmal der Fische ist, dass sie sich alle räumlichen Dimensionen für eine zielgerichtete Bewegung erschließen können. Sie nutzen die Wirkungen der Gravitation, um oben und unten zu unterscheiden. Außerdem bildeten sie ein Vorn und ein Hinten, einen Kopf und einen Schwanz, sowie zwei beinahe gleiche Körperseiten aus, so dass jede Richtung für eine Bewegung eindeutig bestimmbar ist. Für die Ausschöpfung der entstandenen Möglichkeiten war jedoch eine Vielzahl von Informationen erforderlich, die nicht nur gewonnen sondern auch verarbeitet werden mussten. Um dieser Anforderung gerecht werden zu können, bildete ihr Gehirn drei spezialisierte Bereiche aus. Der Hirnstamm blieb für Herzschlag, Atmung und andere Vitalfunktionen zuständig. Er hat sich im Laufe der Evolution nur wenig verändert. Die beiden anderen Bereiche, das Kleinhirn, das die Bewegungen koordiniert, und das Großhirn, das die Informationen der Sinnesorgane verarbeitet und Entscheidungen herbeiführt, machten dagegen in der Geschichte der Arten eine erstaunliche Entwicklung durch.

Doch der Reihe nach. In der nächsten Etappe eroberten sowohl Pflanzen als auch Tiere das entstandene Festland. Die Eroberer für die Tiere waren urtümliche Lurche, die sowohl im Wasser als auch an Land existieren konnten. Aus ihnen gingen die Reptilien hervor, die vor rund 300 Milionen Jahren ihren Siegeszug begannen. Im Laufe ihrer langen Geschichte waren die Reptilien immer wieder mit neuen Anforderungen konfrontiert, nicht zuletzt, weil ihre Welt vielgestaltiger wurde. Neuartige Pflanzen und Tiere, darunter gefährliche Räuber, entwickelten sich. Um in dieser Welt bestehen zu können, brauchten sie nicht nur mehr, sondern vor allem auch bessere Informationen, für deren Gewinnung komplexe Sinne entstanden. Für Saurier ist darüber hinaus charakteristisch, dass viele Arten in Gruppen zusammenlebten, in denen sich eine gewisse Rangordnung herausbildete. Das stärkste oder erfahrenste Tier führte die Gruppe an und setzte die überkommenen Regeln des Zusammenlebens durch. Wurde eine gemeinsame  Aktion erforderlich, zum Beispiel um Gefahren abzuwenden, dann musste das Leittier in der Lage sein, das Handeln der Gruppe zu koordinieren. In weit höherem Maße galt das für Arten, die gemeinsam jagden, da die Jagd ein schnelles und abgestimmtes Handeln aller Beteiligten erfordert. Für eine Abstimmung ist Kommunikation erforderlich, die sich vor allem über Botenstoffe, durch Laute oder mittels körperlicher Signale vollzog.

Es hatte schon vorher Tiere gegeben, die in Gruppen lebten, um auf diese Weise ihre Überlebenschancen zu verbessern. Fische zogen in Schwärmen durch die Meere, da sie auf diese Weise einen gewissen Schutz vor Angreifern gewannen. Im Schwarm gelten einfache Regeln – bleibt zusammen, stoßt nicht aneinander und bewegt euch wie die anderen. Für ein solches Miteinander ist nur wenig Kommunikation erforderlich. Bei den später entstandenen staatenbildenden Insekten kann man einen deutlich regeren Austausch beobachten, nicht zuletzt, weil diese Staaten durch eine innere Arbeitsteilung geprägt sind. Die Kommunikation erfolgt wiederum mit Hilfe von Botenstoffen und Tönen oder mittels Verhaltensweisen, denen eine bestimmte Bedeutung zugeordnet ist. Auf dieser Basis agiert solch ein Staat wie ein ganzheitlicher Organismus, mit dem Unterschied, dass er keine zentrale Steuerung kennt. Die Gruppen, in denen die Reptilien lebten, agierten dagegen unter der Führung eines Leittiers, das in der Lage war, Informationen aus der Umwelt zu verarbeiten und Entscheidungen zu treffen. In den Gemeinschaften der Reptilien gewann auch die Fürsorge für die Nachkommen an Bedeutung. Während anfänglich die Gelege meist sich selbst überlassen worden waren, übernahmen im Laufe der Entwicklung immer mehr Arten Verantwortung für den Schutz und die Versorgung der Nachkommen, auch, weil die dadurch mögliche Weitergabe von Erfahrungen überlebenswichtig geworden war.

Vor rund 65 Millionen Jahren ging die große Zeit der Saurier zu Ende. Vermutlich wurde die Erde von einer Katastrophe heimgesucht, die die Lebensbedingungen derart gravierend veränderte, dass ihnen keine Chance zur Anpassung blieb. Einige ihrer Verwandten, die Vögel, haben die von den Saurier hervorgebrachten Fähigkeiten bis in unsere Tage hinein bewahrt und weiterentwickelt. Vögel zeichnen sich durch ein komplexes soziales Verhalten, durch intensive Pflege der Nachkommen und hohe Intelligenz aus. Die eigentlichen Gewinner des Exodus der Dinos waren jedoch andere Verwandte, die Säugetiere. Sie krochen aus ihren Löchern und vermehrten sich fortan rasant. Immer neue Arten entstanden, die auch immer neue Lebensräume eroberten. Fast gleichzeitig traten die Blütenpflanzen ihren Siegeszug an. Man könnte sagen, die Welt der Lebewesen erfand sich neu.

Säugetiere zeichnen sich durch eine Reihe von Besonderheiten aus. Auf dem Gebiet der Informationsverarbeitung ist vor allem die sich vergrößernde Schicht von Neuronen zu nennen, die ihr Großhirn umhüllt. Die entstandene Großhirnrinde ist zwar sehr dünn, aber ihre Nervenzellen sind raffiniert miteinander verknüpft, so dass eingehende Informationen vielfältig kombiniert werden können. Mit dem daraus erwachsenden Potenzial wurde es unter anderem möglich, ein größer und komplizierter werdendes Geflecht sozialer Beziehungen zu beherrschen. Gemessen an vorangegangenen Perioden verlief die damit verbundene Entwicklung atemberaubend schnell. Bereits vor 40 Millionen Jahren lebten einige Säugetierarten in hochkomplexen Gemeinschaften. Die in diesen Verbänden erforderliche Kommunikation wurde wiederum mit Hilfe von Botenstoffen, Lauten, Gesten, Mimik und andere Körperzeichen gesichert. Durch eine verbesserte Gedächtnisleistung war es außerdem möglich geworden, die Mitglieder der Gruppe nach äußeren Merkmalen zu unterscheiden und ihnen Stärken und Schwächen zuzuordnen. Ein ganzes Geflecht sozialer Beziehungen entstand, das die Weiterentwicklung der Kommunikation erforderlich machte.

zuletzt geändert: 26.09.2019

vgl. GEO kompakt Nr. 33, Wie Tiere denken

Bild: harscher.de

Noch mehr Gewichtiges

Was kann es nach Anfang und Ende des Universums noch Gewichtiges geben? Nichts! Trotzdem kann ich mir diesen Abschnitt nicht verkneifen, weil die mit ihm verbundene Entstehungsgeschichte irgendwie absonderlich war. Eines Nachts, die Beschäftigung mit den Problemen aus dem Reich der Physik lag schon einige Monate hinter mir, wachte ich auf, weil sich in meinem Kopf eine Frage zum Verhältnis von Masse und Gewicht ungestüm nach vorne drängte. Vergleichbares passiert mir höchst selten. Dass dieses nächtliche Ereignis noch dazu ein Thema betraf, das mich aktuell gar nicht beschäftigte, war nun vollends erstaunlich. Was sich da nach vorne drängte war im übrigen kein kruder Traum, sondern eine durchaus interessante Fragestellung, die mir bisher nicht aufgefallen war. Es war, als ob ein kleiner Quälgeist im Kopf sagen wollte, wach auf Alter, ich hab da so eine Idee, kümmere dich darum. Nach einer kurzen Zeit nächtlichen Grübelns bin ich erfreulicherweise wieder eingeschlafen.

Am nächsten Morgen war, wie immer, wenig Zeit. Lediglich einige Notizen, damit ich die Frage nicht vergessen würde, konnte ich schnell zu Papier bringen. Die Arbeit, also der Broterwerb, rief unerbittlich. Dort angekommen, begrüsste man mich mit der Nachricht, dass alle Systeme ausgefallen seien und wir uns mit Weiterbildung oder so beschäftigen sollten. Oh Wunder, mit einem Mal war Zeit vorhanden, um aus den Erlebnissen der Nacht die Skizze für einen Artikel zu formen. Kaum war dies in aller Eile vollbracht, liefen auch die Systeme wieder an. Sollte dies ein Fußtritt des Schicksals gewesen sein? Bloß gut, dass ich nicht abergläubisch bin. Jedenfalls führte nun kein Weg mehr an der Fragestellung dieser Nacht vorbei.

Die Frage ist, wieso die Dinge ein unterschiedliches Gewicht haben. Wie jetzt, mag mancher denken, so eine Frage raubt dir den Nachtschlaf? Dabei ist die Sache doch sonnenklar, denn die Dinge haben nun einmal eine unterschiedliche Masse und damit auch ein unterschiedliches Gewicht. Aber halt, so einfach ist das nicht, denn Gewicht ist keine Eigenschaft der Masse, wie die Besatzung jeder Raumstation zweifellos bestätigen wird. Im Weltall haben alle Massen gleichermaßen kein Gewicht. Gewicht wird den Dingen durch die Schwerkraft verliehen. Die Schwerkraft der Erde bewirkt ein Heranziehen aller Massen an den Planeten oder anders gesagt, sie verleiht ihnen einen Bewegungsimpuls in Richtung Erdmittelpunkt. Die Schwerkraft wirkt wiederum auf alle Massen gleich, was seinen Ausdruck in der gleichen Beschleunigung aller Massen bei ihrem Fall Richtung Erde findet. Wenn dieser Bewegung irgendwo ein Hindernis im Wege ist und sie sich nicht weiter realisieren kann, dann tritt diese nicht realisierbare Bewegung, mithin die Bewegungsenergie dieser Masse, als Kraft zutage. Wirkt diese Kraft auf eine Waage, dann können wir ihre Größe als Gewicht ablesen.

Nun wissen wir zwar, warum die Massen auf Erden Gewicht besitzen, aber warum ist dieses Gewicht für die einzelnen Massen unterschiedlich, wo doch die Schwerkraft auf alle Massen in gleicher Weise wirkt? Die Frage ist also doch etwas verzwickter. Fangen wir wieder bei den Atomen an, deren Hauptmasseträger die Protonen und die Neutronen sind. In den Stoffen oder Dingen sind unterschiedlich viele Protonen und Neutronen versammelt, was ihre unterschiedliche Masse begründet. Allerdings haben auch Protonen und Neutronen von sich aus kein Gewicht, wie ihr Dasein im Weltraum beweist. Im Weltraum unterscheidet man die Massen mittels der Energiemenge, die erforderlich ist, um ihnen eine bestimmte Beschleunigung zu erteilen. Die Massen nehmen den Energieimpuls auf und setzen ihn in ihrer Bewegung um. Je mehr Energie für die gleiche Beschleunigung erforderlich ist, desto größer ist die beschleunigte Masse. Das erreichte höhere Energieniveau bleibt wiederum solange erhalten, bis eine andere Masse respektive ein anderer Energieimpuls diesen Zustand ändert. Physiker bezeichnen dieses Phänomen als Trägheit. Gemeint ist, dass die Energie in Form einer Bewegung erhalten bleibt, solange dem keine von außen kommenden Einflüsse entgegenwirken. Die „Trägheit“ ist hier also Ausdruck des Energieerhaltungssatzes.

Im Weltraum gilt also, je mehr Masse eine Struktur besitzt, desto mehr Energie ist erforderlich, damit die Struktur in ihrer Gesamtheit um einen bestimmten Wert beschleunigt wird und so ein höheres eigenes Energieniveau erreicht. Gleiches muss vom Prinzip her auch auf Erden gelten. Die hier wirkende Gravitationskraft gibt allen Strukturen einen Impuls zur Bewegung in Richtung Erdmitte. Diese auf die Strukturen wirkende Energie ist für alle gleich. Je mehr Masse, vor allem je mehr Protonen und Neutronen, eine Struktur besitzt, desto größer ist die Energie, die diese Struktur aufnimmt, um in gleicher Weise wie alle anderen beschleunigt zu werden. Falls sich diese Energie wegen eines Hindernisses nicht realisieren kann, tritt sie wiederum als Kraft, als unterschiedlich große Kraft, mithin als unterschiedlich großes Gewicht in Erscheinung. Der Unterschied zu den beschleunigten Massen im Weltraum besteht eigentlich nur darin, dass auf Erden alle Strukturen zu jeder Zeit und in gleichem Maße einem Energieimpuls in Form der Gravitationskraft ausgesetzt sind und deshalb keine zusätzliche Energie aufgewandt werden muss, um die Unterschiede in den Massen zu bestimmen. Okey, und war diese Erkenntnis nun so wichtig, dass mich der kleine Quälgeist in meinem Kopf nicht in Ruhe schlafen lassen konnte?

zuletzt geändert: 01.02.2019

 

Groß, größer, am größten

Urwald

Klein war gestern. Von nun an hatten die Großen das Sagen. Je größer, desto besser, schien die Losung zu sein. Wie hatte doch alles so beschaulich begonnen. Viele kleine unsichtbare Wesen hatten die Welt, respektive die Meere bevölkert und keinem etwas zuleide getan. Naja, ganz so friedfertig waren die Kleinen nun auch wieder nicht. Sie haben sich schon mal gegenseitig aufgefressen und mit ihrem Stoffwechsel die Umwelt dramatisch verändert. Letzten Endes war es ihre Gier nach Energie, die der alten Welt, in der nur anaerobe Mikroorganismen existierten, ein Ende setzte.

Die Cyanobakterien waren schuld. Sie kamen auf den Dreh, die so reichlich vorhandene Sonnenenergie für den eigenen Bedarf zu nutzen. Zu diesem Zweck erfanden sie die Photosynthese, mit der sie aus Kohlendioxid und Wasser unter Zuhilfenahme von Sonnenlicht Zuckermoleküle produzierten. Diese Zucker konnten in der Zelle gespeichert und bei Bedarf mittels Aufspaltung für den eigenen Energiebedarf verwendet werden. Kohlendioxid war zu jener Zeit reichlich im Wasser gelöst, es war ja auch wesentlicher Bestandteil der Atmosphäre. Um an das Sonnenlicht zu gelangen, mussten die Cyanobakterien allerdings aus der schützende Tiefe der Gewässer auftauchen und es sich in der Nähe der Oberfläche kommod machen. Das taten sie nicht jede für sich allein, sie bildeten vielmehr Kolonien, also Verbünde, in denen man sich im Überlebenskampf unterstützen konnte. Das Ganze erwies sich als Erfolgsmodell mit ungeahnten Folgen.

In den Verbünden der Cyanobakterien waren auch andere Organismen zugelassen, solange sie dem Ganzen nicht schadeten, ihm vielleicht sogar nützlich waren. Artfremde Bakterien waren auch deshalb willkommen, weil sie Aufgaben übernehmen konnten, für die den Cyanos die Voraussetzungen fehlten. Als Gegenleistung erhielten sie Energie in Form von Zucker. Zucker nur auf Zuteilung zu erhalten, wirkte jedoch als Aktionsbremse. Wollten diese Bakterien flexibel agieren, mussten sie die Energieversorgung in die eigenen Hände nehmen. Am einfachsten war es, eine Cyanobakterie in den eigenen Zellaufbau zu integrieren. Es spricht vieles dafür, dass auf diese Weise größere Bakterien mit eigener Photosynthese entstanden, die wir heute als Grünalgen bezeichnen. Die Zellverbünde der Cyanobakterien brachten noch eine weitere Neuerung hervor, denn ein Teil der Einzeller trennte sich im Zuge der Vermehrung nicht mehr völlig voneinander. Vielleicht war es die räumliche Enge in den Verbünden, vielleicht war auch die Kooperation auf diese Weise einfach effektiver, inmitten der Zellverbünde entstanden jedenfalls mehrzellige Gebilde, die unterschiedliche Formen annahmen. Einige entwickelten sich zu langen Fäden, die auf diese Weise relativ große Flächen erschließen konnten, andere bildeten kompakte Einheiten, die besser gegen äußere Einflüsse geschützt waren. Irgendwann waberten mehrzellige Wesen in hoher Dichte durch die Meere. Da sie mit der Photosynthese große Mengen an Kohlendioxid verbrauchten und gleichzeitig Sauerstoff freisetzten, veränderten sie nach und nach die Zusammensetzung der Atmosphäre.

In den Meeren war Kohlendioxid bereits zu einem relativ knappen Gut geworden, was zum begrenzenden Faktor für die Grünalgen wurde. In der Luft war zwar noch genügend Kohlendioxid vorhanden, doch um dieses nutzen zu können, musste man das Wasser verlassen. Da auf der Wasseroberfläche der Platz begrenzt und die Nährstoffe rar waren, blieb als Alternative nur die Eroberung des entstandenen Festlands. Ausgerechnet das Sonnenlicht, das man doch für die Photosynthese brauchte, stand diesem Plan entgegen. Im Wasser wurde der UV-Anteil des Lichts weitgehend absorbiert, außerhalb entfaltete er jedoch seine tötliche Wirkung. War es Berechnung oder war es Zufall, dieses Problem erledigte sich scheinbar von selbst. Das Sonnenlicht wandelte nämlich den von den Cyanobakterien und den Grünalgen freigesetzten Sauerstoff in den höheren Schichten der Atmosphäre zu Ozon um, der nun wie ein Schirm vor den tötlichen Strahlen schützte. Der Eroberung des Festlands stand jetzt tatsächlich nichts mehr im Wege.

Was hier so kurz erzählt daherkommt, nahm in der Realität allerdings einige Zeit in Anspruch. Mehr als eine Milliarde Jahre vergingen, bis aus Cyanobakterien einzellige Algen wurden, und dann noch einmal eine halbe Milliarde Jahre bis komplexe Mehrzeller, mithin Pflanzen, entstanden. Ehe einer dieser winzigen Vielzeller als Urahn der Landpflanzen in die Geschichte eingehen konnte, sollten nochmals Millionen von Jahren vergehen.1) Man nimmt heute an, dass es Nachfahren besagter Grünalgen waren, die als erste diesen Schritt taten. Einige von ihnen hatte es durch Überschwemmungen oder andere Widernisse in die Seen und Tümpel des Festlands verschlagen. Dort mussten sie immer wieder mit längeren Trockenzeiten zurechtkommen. Überleben konnte nur, wer den eigenen Körper vor Flüssigkeitsverlust schützte. Zu diesem Zweck bedeckten die Grünalgen ihre Oberfläche mit einer transparenten Hülle aus Wachsen und fetthaltigen Substanzen. Diese Hülle musste gleichzeitig den Gasaustausch erlauben, weshalb sie wahrscheinlich recht dünn war. Doch woher sollten die Algen Nährstoffe nehmen, wenn ihr Lebenselexier, das Wasser, zu einem knappen Gut geworden war? Möglicherweise waren sie in der Lage, Nährstoffe aus der Luft oder aus der sie umgebenden Restfeuchte zu ziehen. Wahrscheinlich hatten sie aber auch Partner, Pilze zum Beispiel, die ihnen halfen, das Leben auf dem Trockenen zu meistern.

Die Ahnen der Pilze stammten ebenfalls aus dem Meer. Man kannte sich also und hatte in den Zellverbünden schon Erfahrungen miteinander gesammelt. Pilze bilden lange Zellfäden, mit denen sie relativ große Flächen nach Nahrung absuchen können. Dadurch waren sie in der Lage, dem Verbund Nährstoffe zu liefern, die für die Cyanobakterien oder die Grünalgen nicht erreichbar waren. Für ihre Dienste wurden sie mit Zucker entlohnt. Um eine solche Zusammenarbeit auf dem Trockenen fortzusetzen, mussten die Pilze die erforderlichen Nährstoffe allerdings vom Boden aufnehmen. Da an der Oberfläche nicht viel zu holen war, stießen sie ins Erdreich vor. Die Grünalgen halfen ihnen, indem sie sich mit ihrem Korpus im Erdreich verankerten und so den Pilzen den Weg bereiteten. Für diese Annahme spricht, dass noch heute neun von zehn Pflanzen in einer vergleichbaren Symbiose mit Pilzen leben.

Wie dem auch sei, vor rund 480 Millionen Jahren begann die Begrünung des Festlandes. Es waren vor allem Moose, Nachfahren der Algen, die diesem Prozess zu rasantem Tempo verhalfen. Ebenso wie die Algen bilden auch Moose Sporen, die aber nicht durch das Wasser, sondern vor allem mit Hilfe des Windes, und dadurch schneller und weitflächiger, verbreitet werden. Treffen Sporen auf nährstoffreichen Boden, dann können sich neue Pflanzen bilden. Die neuen Pflanzen sind Klone, das heißt, ihr Erbgut gleicht dem der Mutterpfanze bis ins Detail. Diese Art der Fortpflanzung ist sehr effektiv. Ihr Nachteil besteht darin, dass sich Veränderungen im Erbgut, die für die Anpassung an neue Umweltbedingungen erforderlich sind, nur über Mutationen vollziehen können. Damit ist sie jedoch vom Zufall, dass ein passender Fehler auftritt, abhängig. Gerade an Land, wo Naturgewalten und Schwankungen im Klima häufig Veränderungen in den Bedingungen bewirkten, konnte dieses unsichere Prozedere zum tötlichen Handicap werden. Eine andere Strategie der Fortpflanzung musste her.

Die Lösung, die von der Natur gefunden wurde, war so simpel wie genial. Mutationen hatten bewirkt, dass Individuen entstanden waren, die zwar zur selben Art gehörten, sich aber in einigen Merkmalen unterschieden. Wenn zwei solcher Individuen ihr Erbgut vereinten, dann würde etwas Neues entstehen, das sich von beiden Eltern unterschied. Zum Zwecke einer solchen Vereinigung entwickelten sich zwei unterschiedliche, aber passfähige Keimzellen. Die einen waren fest im Lebewesen verankert, die anderen waren mobil, sie konnten mit Hilfe von Wind und Wasser auf Reisen gehen. Traf die reisende Keimzelle nun auf eine passfähige stationäre, dann konnten sich beide vereinen. Die beweglichen Keimzellen nennen wir männliche, die stationären weibliche. Der aus der Vereinigung entstehende Keim konnte nun seinerseits auf Reisen gehen und neue Lebensräume erschließen. Da die Nachkommen Eigenschaften der Eltern jeweils in unterschiedlichen Anteilen vereinen, unterscheiden sie sich voneinander. Diejenigen, die am besten mit den gegebenen Bedingungen klarkamen, vermehrten sich am stärksten und prägten fortan die Population.

Was sich einmal bewährt hat, wird von der Natur nicht so schnell preisgegeben. Das gilt auch für die Fortpflanzung durch Klonung. Wurden vereinzelte Samen in ein noch nicht besiedeltes Gebiet getragen, dann war dort eine geschlechtliche Fortpflanzung wegen fehlender Partner nicht möglich. In einer solchen Situation war es hilfreich, eine Alternative zu haben und mittels Klonung eine Kolonie gründen zu können. Die Klone waren zwar genetisch gleich, doch mit der Zeit bildeten sich auch hier durch Mutationen Individuen heraus, die eine geschlechtliche Fortpflanzung ermöglichten. Noch heute können sich etwa 40 Prozent aller Pflanzen durch Knospung, Ableger, Ausläufer und andere Formen ungeschlechtlicher Fortpflanzung ausbreiten. 2)

Die Entwicklung hatte nun richtig Fahrt aufgenommen. Bahnbrechende Innovationen brauchten nicht mehr Milliarden von Jahren, bereits in einigen Millionen Jahren konnten sich grundlegende Neuerungen durchsetzen. Das mag auch daran gelegen haben, dass die Bedingungen auf Erden lebensfreundlicher geworden waren. Die neuen Vermehrungstechniken, die in relativ kurzer Zeit viele Variationen einer Pflanzenart hervorbringen konnten, trugen ebenfalls dazu bei. Es entstanden zum Beispiel Pflanzen, die durch eine dickere Hülle geschützt waren. Da der Gasaustausch trotzdem gesichert sein musste, bauten sie Spalte in die Oberfläche ein, die nach Bedarf geöffnet oder geschlossen werden konnten. Außerdem begannen die Pflanzen, sich dem Licht entgegenzustrecken. Dazu musste ihr Aufbau stabiler werden. Neuartige Moleküle wurden gebildet und so angeordnet, dass sie ein Stützkorsett ergaben. Zur Deckung des wachsenden Energiebedarfs brauchte man leistungsstarke Sonnenkollektoren, Blätter genannt. Der von ihnen produzierte Zucker wurde nicht nur als Energiereserve gebraucht, er diente auch als Ausgangsmaterial für die pflanzlichen Baustoffe. Dann war da noch das Problem mit dem Wasser, dass irgendwie aus dem Boden gesogen und durch die gesamte Pflanze bis zu den Blättern transportiert werden musste. Ein entsprechendes Wurzelwerk wurde gebildet, welches das Wasser, mitunter aus großen Tiefen, heranschaffte. Um dessen Transport zu gewährleisten, wurde über die Spalten der Blätter Feuchtigkeit verdunstet. Der auf diese Weise entstehende Sog, unterstützt durch ein System von sich ständig verjüngenden Röhren, ermöglichte diese logistische Meisterleistung.

In Bezug auf die Fortpflanzung sind ebenfalls Neuigkeiten zu vermelden. Bei dem so wichtigen Geschäft, wie es die Verbreitung der Samen darstellt, lediglich auf Wasser und Wind zu vertrauen, war auf die Dauer ein zu unsicheres Unterfangen. Mittlerweile gab es jedoch unzählige Krabbelwesen, die vor 400 Millionen Jahren begonnen hatten, das Land zu bevölkern. Ein Teil von ihnen konnte sogar fliegen und auf diese Weise größere Entfernungen zurücklegen. Diese Krabbelwesen, Insekten vor allem, waren zwar mitunter eine rechte Landplage, aber vielleicht konnte man sie ja zur Verbreitung des eigenen Samens gebrauchen. Dazu mussten sie irgendwie angelockt werden. Einige Pflanzen bauten um die Keimzellen herum ein Gebilde, Blüte genannt, dass durch seine Form, seine Farbe oder durch die Absonderung von speziellen Duftmolekülen diese Aufgabe erfüllte. Außerdem winkte dem Besucher süßer Nektar als Belohnung. Die einzelnen Krabbeltierchen entwickelten unterschiedliche Vorlieben hinsichtlich Farben, Formen und Gerüchen. Die Pflanzen spezialisierten sich mit ihren Blüten auf den Geschmack eines oder weniger dieser kleinen Helferlein, so dass man sich untereinander nicht in die Quere kam. Diese Strategie war in toto derart erfolgreich, dass heute 80 Prozent aller Pflanzen Blütenpflanzen sind.

Einige der Pflanzen hatten bereits eine erstaunliche Größe erreicht. Aber groß war nicht groß genug. Um noch weiter dem Licht entgegenstreben zu können, musste der eigene Aufbau verstärkt werden. Holz wurde zu einer weiteren bahnbrechenden Neuerung der Pflanzen. Um weit in den Himmel ragen zu können, war es erforderlich, sich im Boden zu verklammern, da sonst jeder Windstoß dem Streben nach Höherem ein jähes Ende bereiten würde. Starke Wurzeln, die sich fest im Untergrund verankerten, waren gefragt. Die Wurzeln dienen auch dem Einsammeln von Wasser und Nährstoffen. Damit sie wachsen und ihre vielfältigen Aufgaben erfüllen können, brauchen sie Energie. Außerdem sind sie bei ihrer Versorgungsaufgabe auf die Hilfe von Pilzen angewiesen, die mit Zucker entlohnt werden müssen. Mit anderen Worten, in den Wurzeln wird viel Zucker benötigt, dessen Produktion jedoch den Blättern obliegt, die ihrerseits dem Licht zustreben. Der Zucker musste also von den Blättern hoch oben durch die gesamte Pflanze bis nach unten in die Wurzeln geleitet werden. Dazu war ein Leitungssystem erforderlich, das mit Hilfe der Schwerkraft den Zuckerfluss durch den ganzen Baum hindurch gewährleistete.

Kaum war ein Problem gelöst, tauchte ein neues auf. Die Pflanzen hatten sich gewaltig vermehrt und eine große Artenvielfalt ausgebildet. Nährstoffreiche Gebiete waren bald dicht besiedelt, was zu einem Konkurrenzkampf um Rohstoffe und Energie führte. Der Pflanzenreichtum lockte auch haufenweise Parasiten und Schmarotzer an, die die fleißigen Pflanzen anzapften und ihnen Mineralstoffe und Zucker entzogen, ohne eine Gegenleistung dafür zu liefern. Noch gravierender war, dass eine andere Gruppe von Lebewesen, Tiere nämlich, sich ebenfalls aufgemacht hatte, das Festland zu erobern. Für ihre Ernährung hatten sie sich die Pflanzen, wen sonst, auserkoren. Auf all diese Bedrohungen mussten die Pflanzen reagieren. Sie mussten sich also der Konkurrenz anderer Pflanzen erwehren, Parasiten bekämpfen und sich vor dem übermäßigen Befraß durch Tiere schützen. Außerdem galt es, sich stets von neuem den sich verändernden Umweltbedingungen anzupassen, die Vermehrung zu gewährleisten und neue Lebensräume zu erobern. Für die Bewältigung all dieser Herausforderungen war eine Interaktion mit der Umwelt erforderlich, für die möglichst viele Informationen benötigt wurden. Charakteristisch ist jedoch, dass die Aktionen der Pflanze nicht von einer Zentrale aus gesteuert werden.

Nehmen wir das Wachstum der Pflanze als Beispiel. Für ihr Wachstum braucht sie eine Richtung, in die es gehen soll – die Wurzeln nach unten und die Triebe nach oben,zum Beispiel. Aber, wo ist oben und wo ist unten? Die Pflanzen entwickelten spezielle Zellen, in denen sie mit Hilfe kleiner Kügelchen, die von der Schwerkraft an die Zellwand gedrückt werden, festgestellen kann, ob die Wurzelspitze nach unten und der Trieb nach oben zeigt. Erspürt die Wurzel ein Hindernis, muss sie ausweichen, um nach dessen Wegfall den Weg nach unten fortzusetzen. Auch in ihrem Streben zum Licht müssen die Triebe manche Verrenkung in Kauf nehmen, um in höhere Regionen vorzustoßen. Dann ist da noch der Rhythmus von Tag und Nacht, dem sich die Pflanzen anpassen müssen. In der Nacht steht keine Sonnenenergie zur Verfügung, so dass sich auch die Photosynthese nicht vollziehen kann. Zeit ist im Leben jedoch ein rares Gut. Um die der Nacht nicht zu vergeuden, musste die Photosynthese in zwei Schritte aufgeteilt werden. Am Tag wird die Sonnenenergie eingesammelt und auf chemischen Wege zwischengelagert, während in der Nacht Kohlendioxid der Luft mit Hilfe dieser Energie zu Zuckermolekülen umgebaut wird. Zur Steuerung dieses Rhythmusses entwickelten die Pflanzen eine innere Uhr aus Proteinen, die nach einem festgelegten Schema auf- und wieder abgebaut werden. Das heißt, die Pflanze misst die Zeit mit Hilfe von Prozessen gleichbleibender Dauer, ein Prinzip, das auch für uns Grundlage jeglicher Zeitmessung ist. Der Nachteil dieses Systems besteht darin, dass es jahreszeitlich bedingte Änderungen der Tag/Nacht-Wechsel nicht berücksichtigen kann. Weitere Impulse, die aus der Länge und der Intensität der Sonneneinstrahlung entstehen, mussten hinzukommen, um die Pflanze in die Lage zu versetzen, sich nicht nur in den Tages- sondern auch in den Jahreszeiten zu orientieren. 2)

Die genannten Beispiele sind jedoch nicht die einzigen Informationsquellen, die sich Pflanzen erschlossen haben. In den letzten Jahren wurden eine ganze Reihe von Wahrnehmungen der Pflanzen nachgewiesen, wobei zur Informationsübertragung nicht nur Botenstoffe, sondern auch elektrische Impulse eingesetzt werden. Einige Pflanzen können zum Beispiel durch die Luft wirbelnde Moleküle wie auch in Flüssigkeiten gelöste Substanzen erkennen. Andere nehmen Schallwellen, Licht verschiedener Frequenz, Druck, äußere Feuchtigkeit oder Wärmequellen wahr. All diese Wahrnehmungen der Pflanzen basieren auf relativ einfachen Wirkprinzipien, die man, zumindest in Teilen, bereits bei einzelligen Lebewesen findet. Die Sinne der Tiere basieren im Übrigen auf durchaus vergleichbaren Prinzipien. Die Unterschiede in den Wahrnehmungen von Einzellern, Pflanzen und Tieren resultieren also nicht in erster Linie aus den ihnen zugrundeliegenden Wirkprinzipien, sie sind vielmehr in der wachsenden Empfindlichkeit der Sensorzellen, in der zunehmenden Komplexität der Sinnesorgane und vor allem in der Art und Weise, wie die gewonnenen Informationen weitergeleitet, verarbeitet und genutzt werden, begründet.

zuletzt geändert: 15.07.2019

1) GEO kompakt Nr. 38, Seite 38 ff sowie Seite 150

2) ebenda, S. 68

3) ebenda, Seite 24 ff

4) ebenda, S. 123

Bild: soziologie-etc.com

Veröffentlicht unter Leben

Klein, aber oho!

bakterie

Nirgends hat dieser Ausruf wohl mehr Berechtigung als in Bezug auf Mikroorganismen. Liest man Fakten zu dieser kleinsten Form des Lebens, dann weiß man nicht so recht, ob man sich nur wundern oder doch eher gruseln soll. Vielleicht stellt sich auch ein Staunen ob ihrer Vielfalt ein, Entzücken über ihre Pracht wohl weniger, da man sie nicht sieht, jedenfalls nicht mit bloßem Auge. Wenn überhaupt, dann nimmt man sie meist als Erreger von Krankheiten wahr. Fakt ist jedoch, dass schätzungsweise 2 bis 3 Milliarden Arten dieser Lebewesen „unseren“ Planeten bevölkern. Es sollen jedoch erst 0,5% der Arten überhaupt entdeckt und klassifiziert sein, von denen übrigens die wenigsten Krankheiten verursachen.1) Manche der von ihnen ausgelösten Krankheiten sind allerdings furchteinflößend, wie die Pest, die im 14. Jahrhundert innerhalb von gerade einmal vier Jahren ein Drittel der Menschen Europas dahinraffte. Sie schwappte auch in anderen Zeiten immer wieder in Wellen des Todes über Länder und Kontinente. In den Jahren 1918/19 war es die „Spanische Grippe“, die mehr Menschenleben gefordert haben soll als der  gesamte Weltkrieg davor. 2) Auf der anderen Seite der Bilanz steht jedoch, dass ohne die Hilfe der Mikroorganismen weder Pflanzen noch Tiere überleben könnten. Abgesehen davon, wäre unser Leben auch um manchen Genuss ärmer.

Mikroorganismen sind meist Einzeller. Zu ihnen gehören Bakterien genauso wie einfache Pilze, Mikroalgen und Urtierchen. Man könnte auch die Viren zu den Mikroorganismen zählen, was jedoch wegen des Fehlens eines eigenen Stoffwechsels umstritten ist. Mikroorganismen kommen praktisch überall vor – in der Luft, im Wasser, in der Erde und natürlich in und auf anderen Lebewesen. Die Zahl der Mikroorganismen, die ein Mensch mit sich herumschleppt, schätzt man auf 1 Billiarde. Damit übertrifft die Zahl der Mikroorganismen die Zahl der körpereigenen Zellen deutlich. Allein in einer Probe menschlicher Atemluft hat man 1800 Bakterienarten festgestellt.3) In den Ozeanen sollen bis zu 10 Millionen Arten leben. Wer hat die nur alle gezählt? Aber egal, ob es nun ein paar Millionen mehr oder weniger sind, fest steht, wir sind von ihnen umzingelt. Sie sind überall. Wie konnte das passieren?

Nun, sie waren einfach als erste da. Die Erde ist zirka 4,6 Milliarden Jahre alt. 4) Vor vielleicht 3,8 Milliarden Jahren traten die ersten Mikroorganismen auf. 1) Vielzeller entwickelten sich vor ungefähr 600 Millionen Jahren und der „moderne“ Mensch gar erst vor 130.000 Jahren. Er ist, gemessen an den Mikroorganismen, ein rechter Jungspund. Die Mikroorganismen hatten also alle Zeit, diese Welt bis in die unwirtlichsten Nischen hinein zu besiedeln. Die Frage ist also weniger, warum die Mikroorganismen zahlen- und artenmäßig allen anderen Lebewesen überlegen sind, vielmehr sollte man fragen, warum sie die Ausbreitung anderer Lebewesen überhaupt zugelassen haben. Entweder sie haben die „Großen“ nicht als Bedrohung empfunden, oder sie haben sich sogar Vorteile von deren Existenz versprochen. Wahrscheinlich würde es ihnen nicht schwerfallen, dem Spuk ein schnelles Ende zu bereiten, wenn ihnen die Sache lästig wird. Das wäre aber eher ein Thema für einen Phantasie-Thriller.

Für uns ist an dieser Stelle wichtiger zu klären, wie Mikroorganismen entstanden sind, wie sich aus lebloser Materie Leben entwickelte. Schauen wir uns dazu die Gegebenheiten in der Frühzeit der Erde an. In den ersten 500 Millionen Jahren nach der Entstehung des Sonnensystems herrschte ein bemerkenswertes Chaos in demselben. Unmengen von Kometen jeder Größe schwirrten durch den Raum und stießen auch mal mit Planeten zusammen. Diese Kollisionen blieben nicht folgenlos, denn die Kometen brachten eine Reihe von Stoffen mit. Auf diese Weise gelangte Wasser in großen Mengen auf die Erde, ein dort bis dahin eher rarer Stoff. Dies ist zumindest eine der Theorien darüber, wie die Erde zum blauen Planeten wurde. Die Erdatmosphäre, die anfangs vor allem aus Wasserstoff, Kohlendioxid und Schwefelwasserstoff bestanden hatte, wurde mit Stickstoff, Ammoniak und Edelgasen angereichert. Außerdem hatten sich bei der Entstehung der Erde Erze und Minerale gebildet, die nun im Erdmantel schlummerten. Das heißt, es war eine beachtliche stoffliche Vielfalt vorhanden.

Irgendwann neigte sich die stürmische Frühzeit des Sonnensystems ihrem Ende zu und der Kometenhagel versiegte. Trotzdem verlief auf Erden noch lange nicht alles in geordneten Bahnen, denn es brodelte an allen Ecken und Enden. Die Luft war heiß, die Ozeane dampften, Landmassen bildeten und veränderten sich, überall schoß Lava hervor. Nicht nur die noch junge Erde war überaus aktiv, auch unsere Sonne war ein einziger Hexenkessel, der riesige Mengen Energie in alle Richtungen verschleuderte. Diesen Energiestürmen konnte sich die Erde nicht entziehen, so dass atmosphärische Entladungen mit gewaltigen Blitzen und Blitzkaskaden an der Tagesordnung waren. Die ungebändigte Energie verursachte chaotische Zustände, in denen sich immer neue stoffliche Strukturen bildeten, aber auch wieder zerstört wurden.

Als Ergebnis dieses Prozesses waren unter anderen Nukleinsäuren und Aminosäuren entstanden, für deren Bildung günstige stoffliche Voraussetzungen herrschten. Aus der Verbindung von Aminosäuren mit Metallen und Mineralen ging eine große Vielfalt von Eiweißen hervor. Sie entstanden jedoch völlig willkürlich, das heißt sie bildeten sich irgendwann und irgendwo, existierten eine gewisse Zeit lang, um dann unter dem Einfluss ihrer Umwelt wieder aufgelöst zu werden. Hinzu kam die stoffliche Vielfalt ihrer jeweils mehr oder weniger kurzen Existenz, so dass an eine Fortentwicklung zu komplexeren Strukturen nicht zu denken war. Für einen solchen Schritt war eine Basis, das heißt eine größere Anzahl gleicher Verbindungen erforderlich. Diese konnte jedoch nur entstehen, wenn es gelang, vorhandene Moleküle zu vervielfältigen. Eiweiße kamen dafür nicht in Frage, da sie eine nur schwer kopierbare dreidimensionale Struktur besitzen. Nukleinsäuren sind einfacher aufgebaut, ihre Bausteine reihen sich fortlaufend aneinander. Außerdem besitzen sie ein spezifisches katalytisches Potential, das sich in der gegenseitigen Anziehung ihrer Bausteine äußert. Basenpaarung nennt man das. Die Ribonukleinsäure hat darüber hinaus noch eine ganz besondere Macke, denn einige Abschnitte des RNA-Moleküls können bewirken, dass andere vom Verbund abgetrennt werden. Unter anderen Umständen wäre eine solche Selbstverstümmelung wahrscheinlich tötlich, hier wurde sie jedoch zur Lösung des Problems, denn sobald sich das RNA-Molekül zerteilte, wurden die Reste durch das Paarungsstreben der Basen wieder komplettiert. Auf diese Weise wurde das gesamte Molekül dupliziert.2)

Damit war das Problem aber noch nicht ganz gelöst, denn die sich so munter verdoppelnden Moleküle wurden in der energiegeladenen Umwelt bald wieder zerstört. Sie brauchten einen Schutz, eine Hülle, die sie vor marodierender Energie und anderen Störenfrieden abschirmte. Die Schutzhülle durfte jedoch keine undurchdringliche Mauer bilden, denn sie musste einige Stoffe, die für die Vermehrung erforderlich waren, passieren lassen und gleichzeitig den Abfall nach außen leiten. Irgendwann fanden sich tatsächlich Stoffe, Fette vor allem, die diesen Anforderungen genügten. Die nunmehr umhüllte RNA wurde zu einem eigenen kleinen Kosmos, Zelle genannt. Für die Vermehrung der Zelle reichte es jedoch nicht aus, nur die RNA zu kopieren, auch die Hülle und alle inneren Bestandteile mussten geteilt und verdoppelt werden. Dafür brauchte man einen Bauleiter, der die Maßnahmen koordinieren und in der richtigen Reihenfolge in Gang setzen konnte. Diese Aufgabe konnte nur die RNA übernehmen. Aber, was nutzt ein Chef, wenn es an Baumaterial fehlt? Das heißt, die Vermehrung konnte nur gelingen, wenn genügend aus dem Erdmantel gelöst Minerale und Metalle verfügbar waren. Die ebenfalls erforderliche Energie gab es im Überfluss. Hier bestand das Problem eher darin, einen gleichbleibend mäßigen Zufluss zu sichern, denn allzu große Schwankungen würden die gerade entstandenen Zellen vernichten. Beide Voraussetzungen waren in der Umgebung von hydrothermalen Quellen am Grund der Tiefsee gegeben. Sie könnten die Kinderstube des Lebens gewesen sein.

Aus der obigen Schilderung mag man den Eindruck gewonnen haben, dass die Entstehung des Lebens ein folgerichtiger, beinahe zwangsläufiger Prozess war. Das wäre jedoch ein Trugschluss. In Wahrheit verging ein unvorstellbar langer Zeitraum von mehreren hundert Millionen Jahren bis sich erste reproduktionsfähige organische Strukturen herausgebildet hatten. Unzählige Versuche waren gescheitert, entweder war das Ergebnis nicht ausreichend oder die entstandenen Strukturen wurden in einer energiegeladenen Umwelt wieder zerstört. Nur über die Länge der Zeit und durch die Gunst vergleichsweise stabiler äußerer Bedingungen war es möglich, dass Gebilde aus verschiedenen organischen Bausteinen entstehen konnten, die einerseits ein abgeschlossenes Ganzes bildeten und die sich andererseits in Interaktion mit der Umwelt vermehren konnten.

Irgendwann waren also Einzeller entstanden, die die Voraussetzungen für eine schnelle Vermehrung mitbrachten. In der RNA waren die Informationen zum Aufbau der Zelle gespeichert und sie besaß die Fähigkeit, diese zu kopieren. Als begrenzender Faktor für die Vermehrung erwies sich nun der Umstand, dass die erforderlichen Baustoffe genau in der Form vorgefunden werden mussten, die gerade benötigt wurde. Durch die Vielfalt der Stoffe war die Wahrscheinlichkeit, die jeweils benötigten in unmittelbarer Nähe und dann auch noch in ausreichender Menge vorzufinden, nicht sehr groß. Nur, wenn die Einzeller in die Lage kämen, die wichtigsten dieser Stoffe, wie die erforderlichen komplexen Eiweiße, selbst zu synthetisieren, dann sähe die Sache anders aus. Mit der Herstellung komplexer Eiweißmoleküle war die RNA jedoch überfordert. Der Trick, mit dem die Aufgabe letztlich doch gemeistert wurde, bestand darin, dass die RNA die Synthese relativ einfacher Eiweiße mit speziellen katalytischen Eigenschaften auf den Weg brachte, die wiederum andere Stoffe zu bestimmten Reaktionen veranlassen konnten. Diese als Enzyme bekannten Eiweiße werden auf Veranlassung der RNA in einer solchen Reihenfolge bereitgestellt, dass die daraus resultierende Abfolge von Wirkungen und Reaktionen schlussendlich zum Aufbau der erforderlichen komplexen Eiweiße führt. 5)

Der schnellen Vermehrung der Einzeller stand nun wirklich nichts mehr im Wege. Die schnelle Vervielfältigung wurde sogar zu ihrem Markenzeichen. Eine schnelle Vermehrung führt jedoch zu Fehlern, vielleicht, weil der Bauplan nicht exakt kopiert wurde, weil die Baustoffe nicht wie erforderlich zur Verfügung standen oder weil beim Aufbau der Eiweiße gepfuscht worden war. Natürlich konnten auch Wirkungen von außen zu Fehlern beitragen. Die meisten der fehlerhaften Klone wurden als Ausschuss entsorgt. Einige waren jedoch überlebensfähig, mitunter kamen sie sogar besser als ihre Vorgänger mit den gegebenen Bedingungen zurecht. Jedenfalls gelang es den Mikroorganismen, sich durch Veränderungen in ihrem Bauplan unter beinahe allen Bedingungen zu behaupten und den gesamten Planeten zu besiedeln. Den in dieser ersten Phase entstandenen Mikroorganismen war gemeinsam, dass sie ohne Sauerstoff auskamen, denn der stand nicht zur Verfügung. Man bezeichnet sie deshalb als anaerob. Die anaeroben Mikroorganismen wurden zu unumstrittenen Herrschern auf Erden, und dies für den unvorstellbaren Zeitraum von beinahe einer Milliarde Jahren.

Immer nur auf Energiequellen aus dem Erdinnern angewiesen zu sein, war jedoch lästig, zumal das Sonnenlicht praktisch unbegrenzt zur Verfügung stand. Einige der Mikroorganismen fanden dann auch einen Weg, diese Energiequelle für sich nutzbar zu machen. Die Cyanobakterien waren mit der Photosynthese besonders erfolgreich, auch weil sie dafür lediglich Wasser und Kohlendioxid benötigten, die ausreichend vorhanden waren. Bei der Photosynthese, wird jedoch Sauerstoff freigesetzt, der über die Jahrmillionen die stoffliche Zusammensetzung der Luft und dann auch des Wassers veränderte. Dumm nur, dass Sauerstoff für anaerobe Lebewesen einem Gift gleichkommt. Ihre bahnbrechende Erfindung wurde daher irgendwann auch ihr Verhängnis, in dessen Folge sie gezwungen waren, das Feld den anderen, den sauerstoffliebenden Mikroorganismen zu überlassen. Sie selbst zogen sich in unwirtliche Gegenden wie Sedimente und Schlämme zurück. Später besiedelten sie auch so beschauliche Fleckchen wie die Gedärme von Menschen und anderem Getier. Trotzdem zählen anaerobe Mikroorganismen auch heute noch mehr Arten als alle höheren Lebewesen zusammen. 5)

Mit der größer werdenden Artenvielfalt bildeten sich auch sehr unterschiedliche Fähigkeiten der Einzeller aus, die mit entsprechenden Veränderungen in ihrem Zellaufbau verbunden waren. Da sie teilweise über mehrere solcher Fähigkeiten verfügten, wurden die Informationen, die an die Nachkommen weitergegeben werden mussten, immer komplexer. In diesem Zusammenhang stellte sich heraus, dass die RNA gegen Wirkungen von außen recht anfällig war, so dass umfassende Informationen oft nicht fehlerfrei an Nachkommen weitergegeben werden konnten. Die DNA war besser geeignet, komplexe Informationen zu bewahren, jedenfalls waren Organismen, die die DNA zur Weitergabe ihres Bauplanes nutzten, erfolgreicher bei der Erorberung neuer Lebensräume. Gefahr drohte aber nicht nur von außen. In der Zelle selbst waren mittlerweile ebenfalls vielfältige Bestandteile vorhanden, die Wirkungen auf andere, also auch auf die Erbinformationen, ausübten. Die Stoffwechselprozesse sorgten ebenfalls für Gefährdungen, so dass es irgendwann erforderlich wurde, die Erbinformationen mit einer schützenden Hülle zu umgeben. Ein Zellkern entstand.

Einzeller brauchen für ihre Lebensprozesse wie auch für die Vermehrung eine Vielzahl von Stoffen. Um diese aus der Umwelt aufnehmen zu können, entwickelten sie Sensoren, mit denen die erforderlichen Substanzen identifiziert werden konnten. Nur, was macht man, wenn deren Konzentration geringer wird? Dann muss man sie an anderen Orten suchen, das heißt, man muss sich fortbewegen. Da für eine Bewegung Energie verausgabt wird, ist eine solche Aktion mit einem gewissen Risiko verbunden. Eine Alternative wäre, auf Aktivitäten gänzlich zu verzichten und auf diese Weise Energie zu sparen. Viren „leben“ dieses Modell erfolgreich vor, zumindest ist ihre Artenvielfalt nicht geringer als die der aktiven Verwandten. Ihr passiver Lebensstil hat nämlich einige Vorteile. So können sie sich besser gegen äußere Einflüsse schützen, da sie nicht auf die Aufnahme von Stoffen und Energie aus der Umwelt angewiesen sind. Aus dem gleichen Grund kommen sie mit einem deutlich geringeren Volumen aus, was sie ebenfalls widerstandsfähiger werden lässt. Nicht zu vergessen, dass mit dem permanenten Stoffwechsel, wie ihn die aktiven Zeitgenossen benötigen, erhebliche Gefahren verbunden sind. In der tätigen Zelle müssen eine Vielzahl von Stoffen vorgehalten und Prozesse realisiert werden, von denen Wirkungen auf die Zellstruktur ausgehen und sie tendenziell zerstören. Mit anderen Worten, das Tätigsein hat den Preis des Verschleißes, der irgendwann zum Exodus führt. Diesen Nachteil gleichen die tätigen Einzeller dadurch aus, dass sie selbst Einfluss auf ihre Vermehrung nehmen können. Die passiven Zeitgenossen haben zwar keinen inneren Verschleiß zu fürchten, sie haben jedoch auch keinen Einfluss darauf, ob und wann ihnen eine passende Wirtszelle für die Vermehrung beschert wird.

Die Geschichte der Evolution zeigte, dass der Fortschritt mit den Aktiven ist. Sie sind zudem meist gesellige Wesen. Nehmen sie die Nähe von Artgenossen durch Moleküle, die diese absondern, wahr, dann ist das ein Signal dafür, dass man beieinander bleiben kann. In den auf diese Weise entstehenden Gemeinschaften entwickelte sich nach und nach eine Arbeitsteilung. Jeder sollte sein Bestes für den Erhalt und das Gedeien des Ganzen geben. Von solchen Gemeinschaften war es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Herausbildung mehrzelliger Wesen. Dass dieser Schritt gerade vor rund 600 Millionen Jahren gegangen wurde, hängt mit der zu dieser Zeit herrschenden Totalvereisung des Planeten zusammen. Die verschlechterten Lebensbedingungen beförderten die Verschmelzung der Zellen zu komplexen, ganzheitlich gesteuerten Einheiten, die selbst unter komplizierten Bedingungen die Fähigkeit zur Anpassung bewahrten.

 zuletzt geändert: 15.07.2019

Quellen:

1) Wikipedia, Stichwort Mikroorganismen

2) vgl. Gerhard Gottschalk, Welt der Bakterien, WILEY-VCH Verlag, Weinheim 2009

3) Nathan Wolfe, Mikroben: Unsere kleinen Freunde, www.nationalgeographic.de

4) Wikipedia, Stichwort Erde

5) vgl. Bernard Dixon, Der Pilz, der John F. Kennedy zum Präsidenten machte, Spektrum Akadem. Verlag 2009

Veröffentlicht unter Leben

Der Geist in der Flasche

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Nach der Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält, ist es Zeit, dass wir uns mit dem Leben beschäftigen und wie es entstanden ist, meinte Ferdinand. Zum Leben gehört die Fähigkeit, die Umwelt in der ein oder anderen Weise wahrzunehmen und das eigene Verhalten danach auszurichten, mithin sich anzupassen. Bevor wir uns allen weiteren Fragen widmen, sollten wir klären, ob diese Fähigkeit erst mit dem Leben entstand oder ob sie bereits in der unbelebten Natur angelegt ist.

Fangen wir mit dem an, was wir über die unbelebte Natur herausgearbeitet haben, nämlich, dass sie sich in Strukturen organisiert, die aus Bausteinen beziehungsweise Strukturelementen bestehen. Diese Strukturen sind ihrerseits Bestandteil größerer Strukturen. Allen ist gemeinsam, dass sie samt ihrer Bestandteile in Bewegung sind. Von diesen Bewegungen gehen Wirkungen aus, sei es dadurch, dass sie zur Kollision zweier Objekte führen oder dadurch, dass sie Ursache von Kräften werden, die andere beeinflussen. Da die Kräfte nur eine begrenzte Reichweite haben, erreichen sie auch nur eine begrenzte Zahl anderer Strukturen. Aus Sicht der anderen Strukturen gibt es demnach die Alternative, von einer Kraft beeinflusst zu sein, oder eben nicht. Diese Unterscheidung ist für die Betroffenen eine wichtige Information, eine Information mit binärem Charakter – ja oder nein, betroffen oder nicht betroffen.

Information, das Wort stammt aus dem Latainischen und bedeutet soviel wie formen, bilden, gestalten. Mit Hilfe von Informationen soll also geformt, gebildet, gestaltet werden. Das heißt, der Prozess der Information kann mit der Unterscheidung, ob eine spürbare Wirkung vorhanden ist oder nicht, noch nicht beendet sein. Und tatsächlich, im Falle, dass eine Wirkung vorhanden ist, muss die Struktur, die dieser Wirkung ausgesetzt ist, mit ihr umgehen, sich ihr anpassen. Gelingt eine solche Anpassung nicht, kann das durchaus zu ihrer Zerstörung führen. Trifft zum Beispiel ein Ball auf eine Fensterscheibe, so ensteht eine Wirkung auf diese Fensterscheibe, aber auch auf den Ball. Nun gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine Möglichkeit besteht darin, dass die Fensterscheibe die aufgezwungene Energie kurzzeitig ertragen und schnell wieder abgeben kann. In diesem Fall bleibt sie uns erhalten. Der Ball würde, nachdem er leicht verformt worden war, zurückspringen und seine alte Form wiederherstellen. Die andere Möglichkeit verschafft dem Glaser Arbeit, denn die zerborstene Scheibe muss ersetzt werden. Da die Struktur des Balls elastischer ist als die der Fensterscheibe, wird er auch diesen Zusammenstoß überstehen. Er wird jedoch nicht zurückspringen, da seine Bewegungsenergie durch die Fensterscheibe genutzt wurde, um die Scherben im Raum zu verteilen.

Informationen besitzen also eine materielle und eine ideelle Seite. Die ideelle Seite ist die Feststellung, dass eine äußere Wirkung vorhanden ist. Mit dieser Feststellung geht die reale Wirkung unmittelbar einher. Sie verlangt genauso unmittelbar nach einer Reaktion, durch die die betroffene Struktur verändert wird. Entweder sie wird zerstört, wie die Fensterscheibe, die zerbirst oder sie verändert ihre Form, wie der Ball, der durch den Aufprall gequetscht wurde. Es sind auch andere Veränderungen, wie die Modifizierung des Tempos oder der Richtung einer Bewegung möglich. In jedem Fall sind die eintretenden Reaktionen mit der Aufnahme oder Abgabe von Energie verbunden. Die durch die Anpassungsreaktion veränderte Struktur wirkt wiederum in veränderter Weise auf die Umwelt. Eine eingeschlagene Fensterscheibe ist nicht mehr in der Lage, Kälte und Wind abzuhalten oder Licht zu reflektieren. Das heißt, die mit der Information verbundene Veränderung führt ihrerseits zu einer veränderten Information an die Umwelt, mithin an Dritte. Diese Dritten müssen nun, so sie dadurch beeinflusst werden, ebenfalls reagieren. Jemand wird die Scherben der Fensterscheibe auffegen müssen. Es entsteht eine Kette von Folgereaktionen, die in einen Fluss ständiger Veränderungen mündet.

Jeder Fluss hat eine Quelle. Wenn man nach dem Ursprung aller Veränderungen und Anpassungen sucht, wird man wohl bis zum Urknall zurückgehen müssen. Kurz nach dem es geknallt hatte, war alles derart mit Energie aufgeladen, dass sich keine Strukturen bilden konnten. Es gab lediglich eine Unmenge von Energiepartikeln, die hektisch durcheinander wirbelten und dabei ständig miteinander kollidierten. Das heißt, mit dem Urknall entstanden zwar bereits Wirkungen, die andere beeinflussten und vielleicht auch zur kurzzeitigen Bildung von Strukturen führten, dies jedoch in einer derart chaotischen Abfolge, dass die dabei entstandenen Informationen sofort wieder durch neue Ereignisse ausgelöscht wurden. Die Informationen blieben, genauso wie die Strukturbildung selbst, flüchtige Erscheinungen.

Durch den Urknall wurde jedoch auch eine Expansionsbewegung auf den Weg gebracht. Mit der Expansion verringerte sich die Häufigkeit der Wechselwirkungen zwischen den Energiepartikeln. Eine gewisse Konsolidierung setzte ein. In diesem Prozess festigte sich die Dominanz der Partikel, die wir als Materie, im Gegensatz zur Antimaterie, bezeichnen. Wahrscheinlich waren sie am Beginn der Konsolidierung zufällig in der Überzahl, was sich unter den veränderten Bedingungen als entscheidend erwies. Bei den Energiepartikeln selbst wurden zwei Tendenzen charakteristisch. Auf der einen Seite gab es jene Energiepartikel, wie Elektronen, Photonen und Neutrinos, die sich als eigenständig existenzfähig behaupteten. Auf der anderen Seite entstanden größere Einheiten, wie Protonen und Neutronen, in denen mehrere Partikel vereint sind. Diese größeren Einheiten nahmen den Spin ihrer Bestandteile auf und begannen eine eigene Rotationsbewegung. Durch die spezielle Art der Energieverwirbelung in ihrem Inneren entstand darüber hinaus ein Sog, der als Anziehungskraft in Erscheinung trat und das entstandene Teilchen zusammenhielt. Bei den Protonen war diese Anziehungskraft so groß, dass sie Neutronen und Elektronen in ihren Bann ziehen konnten, so dass Atome entstanden. Die Bildung dieser größeren Strukturen führte zur Verringerung der Menge an freien Energiepartikeln. Das Chaos der Wechselwirkungen, das die Anfangsphase geprägt hatte, nahm weiter ab. Die Wechselwirkungen verschwanden jedoch nicht völlig, denn auch die neugebildeten Atome verursachten Wirkungen beziehungsweise waren fremden Wirkungen ausgesetzt. Trotzdem hatte sich etwas grundlegend gewandelt, denn die Strukturen, die äußeren Einflüssen ausgesetzt waren, veränderten sich nicht mehr nur flüchtig, sie hatten jetzt längere Zeit Bestand. Die Wirkungen, die diese Anpassungen verursacht hatten, wurden dadurch für längere Zeit in den veränderten Strukturen bewahrt, das heißt gespeichert.

Anfangs bestanden die größeren Strukturen lediglich aus ein oder zwei Protonen, in Ausnahmefällen auch aus dreien, die zusammen mit ebenso vielen Neutronen und Elektronen eine gemeinsames Ganzes bildeten. Wie konnte aus diesen drei Atomarten die Vielfalt der Elemente und ihrer Verbindungen entstehen, die wir heute kennen? Die Atome und Energiepartikel waren nicht gleichmäßig im Raum verteilt. Dort, wo große Mengen von ihnen vorhanden waren und durcheinander wirbelten, konnte ein Sog entstehen, der zu ihrer Zusammenballung führte. Die dabei entstehende räumliche Enge verursachte aufs Neue massenweise Wechselwirkungen, so dass Atomkerne verschmelzen und größere Atome entstehen konnten. Die Zusammenballung von Energie und Masse führte gleichzeitig zur Entstehung größerer Gebilde, von Sternen und Sternensystemen. So gesehen, sind die Strukturierung auf Mikroebene und die Strukturierung auf Makroebene zwei Seiten desselben Prozesses, eines Prozesses, aus dem eines Tages auch unser Sonnensystem hervorging.

Unser Sonnensystem ist, wie alle anderen Strukturen auch, einerseits durch Stabilität gekennzeichnet, zumindest existiert es schon geraume Zeit, und andererseits durch unablässige Veränderungen, die wiederum durch innere wie auch durch äußere Faktoren verursacht werden. So verteilt unsere Sonne freigiebig Energie, ein Vorgang, der nicht nur die Sonne verändert, sondern der auch Auswirkungen auf die sie umrundenden Planeten hat. Veränderungen können aber auch aus den Weiten der Galaxis heraus verursacht werden, denn viele mehr oder weniger unstete Wanderer treiben dort ihr Unwesen. Kommen Kometen oder Asteroide der Sonne oder den Planeten zu nahe, dann ist ein Katastrophe nicht auszuschließen. Natürlich unterliegt auch die Galaxis als Ganzes Veränderungen, die sich auf unser Sonnensystem und damit auf die Erde auswirken können.

Fassen wir zusammen. Informationen resultieren aus Wirkungen auf Strukturen und Bewegungen, die von anderen Strukturen respektive Bewegungen ausgehen. Solche Wirkungen können vorhanden sein oder auch nicht. Dies festzustellen, ist die Basis aller ideellen Prozesse. Ist eine Wirkung vorhanden, macht sie eine Anpassung erforderlich. In Zeiten, da derartige Wirkungen chaotische Züge tragen, ist diese Anpassung flüchtig, das heißt, jederzeit durch neue Anpassungen hinfällig. Ebenso flüchtig sind die mit diesen Wirkungen verbundenen Informationen. Im Laufe der Entwicklung entstanden jedoch stabilere Strukturen, in denen die Anpassung an eine äußere Wirkung durchaus längere Zeit erhalten blieb. Die angepasste Struktur ist dann eine zu Stoff gewordene, das heißt gespeicherte Information über die Wirkung, die sie verursachte. So gesehen, gehören Informationsprozesse untrennbar zur Materie. Sie entwickeln sich in dem Maße weiter, wie auch die Strukturiertheit der Stoffe zunimmt. Da der ideelle Aspekt mitunter als die geistige Sphäre bezeichnet wird, sollte der Begriff des „Geistigen“ allgemein für Strukturen angewandt werden können. Jedenfalls bekämen wir auf diese Weise den „Geist“ in die Flasche.

Quellen:

1) nach wikipedia, Stichwort Information

2) Henning Engeln, Die Kraft der Bindung, GEO kompakt Nr. 31, 2012, Seite 22

3) ebenda, Seite 26

zuletzt geändert: 04.07.2019

Übergewicht und andere Energieprobleme

Zunge

Eine Folge der Einsteinschen Formel ist die Erkenntnis, dass sich Masse in Energie verwandeln kann und umgekehrt. Allerdings muss man für diese Erkenntnis nicht unbedingt Physiker sein. Beinahe jeder, der etwas zuviel Körpergewicht auf die Waage bringt, oder der auch nur glaubt, dass er zu dick sei, wird diesen Zusammenhang erklären können. Unser Körper wandelt bekanntlich die ihm zugeführte feste oder flüssige Nahrung in Energie um. Kann er aus der bereitgestellten Nahrung mehr Energie gewinnen, als er gerade benötigt, dann macht er aus den Energieträgern Fettpolster als Reserve für schlechte Zeiten. Wenn die schlechten Zeiten ausbleiben und sich die Reserven verfestigen, dann können sie zu Problemzonen werden. Wie wir sehen, aus Masse in Form von Nahrung wird Energie oder eben wieder Masse in Form von Fettgewebe. Wenn sich diese Umwandlung von Masse in Energie ebenfalls nach der Formel E=mc² vollzieht, dann ist klar, dass man eine ganze Menge Kilometer laufen muss, um ein Kilogramm Fett loszuwerden. Wir sollten uns noch einmal mit dieser Formel befassen.

Einsteins Formel ist von Physikern vielfältig geprüft und für richtig befunden worden. Ferdinand plagte jedoch die Frage, warum die Lichtgeschwindigkeit in dieser Formel eine derart herausgehobene Rolle spielt. Er glaubte, das dies mit einem Missverständnis zusammenhängt, das in der Geschichte der Physik seine Wurzeln hat. Lange Zeit hatte nämlich die Untersuchung des Lichts eine zentrale Rolle in den Überlegungen der Physiker gespielt. Als es gelang, dessen Geschwindigkeit mit hoher Präzision zu bestimmen, galt dies als Meilenstein. Außerdem war die These, dass die Lichtgeschwindigkeit die höchste aller möglichen Geschwindigkeiten sei, zu einer Kernaussage der modernen Physik geworden. Nach und nach wurde jedoch klar, dass neben den Photonen auch andere „Teilchen“, wie Elektronen oder Neutrinos, sich ebenfalls mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Das gemeinsame Merkmal dieser „Teilchen“ besteht darin, dass sie nicht aus noch kleineren Bausteinen aufgebaut sind, weshalb sie, im Unterschied zu Teilchen, die eine innere Struktur besitzen, hier als Energiepartikel bezeichnet werden sollen. So gesehen ist „c“ nicht nur die Geschwindigkeit des Lichts, sondern allgemein die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Energie.

Es entsteht allerdings die Frage, wieso die aus Masse resultierende Energie so exorbitant viel größer ist (c²) als die Energie, die sich in ihrer Ausbreitung (c) zeigt? Um uns dieser Frage zu nähern, sollten wir erst einmal sortieren, woraus sich die Energie eines solchen Partikels zusammensetzt. Energie, das ist Bewegung. Also, welche Bewegungen vollführt ein Energiepartikel? Da haben wir die Expansionsbewegung, das heißt, die Bewegung mit der sich Energie im Raum ausbreitet. Man kann den Energiegehalt dieser Bewegung in ihrer Geschwindigkeit messen. Sie ist für alle Energiepartikel, „normale“ Bedingungen vorausgesetzt, durch die Lichtgeschwindigkeit charakterisiert. Eine zweite Bewegung der Partikel ist ihr Spin, das heißt ihre Drehbewegung um sich selbst. Die Geschwindigkeit dieser Drehbewegung, ihre Frequenz, ist nicht bei allen Partikelarten gleich. Die Frequenz kann auch bei ein und derselben Partikelart, wie den Photonen, variieren. Je schneller sie sich drehen, desto höher ist ihr Energiegehalt. Energiereiche Strahlung kann Stoffe stärker durchdringen als energieärmere, vermutlich weil durch die höhere Frequenz dieser Partikel ihre äußere Form stabiler wird. Neben der Frequenz ist der Spin auch durch die Drehrichtung charakterisiert. Sie kann nach links oder nach rechts gerichtet sein und so die Partikel als zur Materie oder zur Antimaterie gehörend bestimmen. Außerdem wissen wir von den Quarks, dass sie sich durch die Drehung nach oben oder nach unter unterscheiden, was weitere Varianten hervorbringt.

Die Expansionsbewegung ist für alle Energiepartikel durch die Lichtgeschwindigkeit bestimmt. Die Frequenz des Spins kann, wie wir von den Photonen wissen, für die selbe Partikelart variieren. Außerdem kann die Drehrichtung des Spins unterschiedlich sein, und dies in zwei Dimensionenen. Die Partikel können natürlich auch in Raum und Zeit, das heißt in ihrer Größe und ihrer Lebensdauer, unterschiedlich sein. Für den Energiegehalt der Partikel ist jedoch die Frage wichtiger, ob wir bereits alle ihre Bewegungen erfasst haben. Die Expansionsbewegung ist die Ausbreitung im Raum, der Spin ist die äußere Bewegung der Partikel, doch was ist mit den Bewegungen in ihrem Inneren? Diese inneren Bewegungen könnten zum Beispiel mehr oder weniger stark verdichtet sein. Je größer die Energiedichte im Innern eines Partikels ist, umso größer wäre dessen Masseäquivalent, vergleichbares Volumen vorausgesetzt. Außerden würde in einem solchen Fall die Form des Partikels kompakter werden. Partikel mit einer geringeren Energiedichte sollten aus dem gleichen Grund andere Stoffe leichter durchdringen. Das scheint jedoch nicht immer der Fall zu sein. Die Masse eines Photons wird mit Null angegeben. Da ein Photon Energie verkörpert, kann dies nicht richtig sein, auch wenn die aus seiner Energie abgeleitete Masse äußerst gering ausfallen wird. Im Gegensatz dazu ordnet man dem Neutrino heute eine Masse zu. Demnach sollte das Neutrino eine höhere Energiedichte aufweisen als das Photon. Trotzdem durchdringt das Neutrino Stoffe, die die Photonen nicht zu durchdringen vermögen. Die Fähigkeit, andere Stoffe zu durchdringen, kann also nicht nur von der Energiedichte der Partikel abhängen. Neben der Frequenz des Spins, der hier ebenfalls eine Rolle spielt, könnte auch die Struktur der inneren Bewegungen, das heißt, die Art und Weise, mit der sich die Energie im Innern des Partikels verwirbelt, Einfluss haben.

Nehmen wir uns dazu noch einmal die Neutronen vor. Das Standardmodell der Teilchenphysik beschreibt die Neutronen als aus zwei down-Quarks und einem up-Quark bestehend. Damit vereinen die Neutronen mehr Energie in sich als die Protonen. Die Außenwirkungen der Neutronen müssten somit eigentlich stärker sein als die der Protonen. Das sind sie aber nicht. Die Ursache dieses Phänomens muss mit dem zweiten down-Quark zusammenhängen, das da gern mal zerfällt. Beide down-Quarks werden mit dem gleichen energetischen Wert angegeben. Das heißt, die Dichte ihrer inneren Energie sollte sich nicht unterscheiden. Da sie sich aber verschieden verhalten, denn nur eines zerfällt, muss ihre innere Struktur, mithin die Struktur der Bewegungen, aus denen sie gebildet werden, unterschiedlich sein. Während das eine down-Quark, das analog auch im Proton vorkommt, eine vergleichsweise konsistente Struktur aufweist, entpuppt sich das zweite down-Quark als Unruhegeist. Seine innere Struktur ist etwas chaotisch, mit teilweise der Hauptbewegungsrichtung entgegengesetzten Anteilen. Die unterschiedlichen Bewegungsanteile stören einander und vermindern die Außenwirkung des Quarks und in der Folge auch die des Neutrons. Wirkt keine genügend große Kraft, die diesen chaotischen Haufen zusammenhält, oder stören äußere Einflüsse den Gesamtzusammenhang, dann trennen sich die unterschiedlichen Bewegungsanteile des zweiten down-Quarks. Das Neutron wird zum Proton, wobei das nun überschüssige Elektron und die der Hauptbewegungsrichtung entgegengesetzte Energie in Form eines Anti-Neutrinos ihrer Wege gehen.

zuletzt geändert: 07.06.2019