Ohne Boten geht gar nichts

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Leben ist ohne Informationen undenkbar. Informationen in Form des genetischen Bauplans werden benötigt, damit ein Lebewesen überhaupt entstehen kann. Ist es dann entstanden, soll es wachsen und sich vermehren. Dafür braucht es Energie und allerlei Stoffe, die es aus dem Wasser oder dem Boden, aus der Luft oder aus anderen Lebewesen ziehen muss. Um an diese Ressourcen zu gelangen, muss es wissen, wo sie zu finden sind und wie man dorthin gelangt. Dafür sind Informationen erforderlich, die mit Hilfe von Sensoren, welche vor allem in und auf der äußeren Hülle platziert sind, gewonnen werden. Von dort werden sie durch den Körper transportiert, um zu den Teilen zu gelangen, die in Aktion treten sollen. Für den Transport ist ein Medium erforderlich, in dem die Informationen gespeichert sind.

Was hat das mit einem Boten zu tun? In früheren Zeiten waren Boten dazu bestimmt, Kunde über gewesene oder erwartete Ereignisse zu übermitteln. Zu diesem Zweck transportierten sie Briefe oder andere Dokumente, die sie einem vorherbestimmten Empfänger überbrachten, damit dieser entsprechend tätig würde. Die Informationen, die ein Lebewesen benötigt, müssen ebenfalls von einem Absender, meist einer Sensorzelle, zu einem vorherbestimmten Empfänger, das heißt, einem Organ oder anderen Körperteil, transportiert werden. Auch dafür braucht man Boten. Zugegeben, deren Fortbewegungsmittel sind andere als die der reitenden Boten früherer Zeiten, im Körper eines Lebewesens werden auch keine Briefe oder Dokumente transportiert. Trotzdem muss die Information für den Transport irgendwo gespeichert sein.

Bereits bei der Entstehung des Lebens spielten Boten eine Rolle. Es hatte sich gezeigt, dass vermehrungsfähige Moleküle in einer aggressiven Umwelt nur überdauern können, wenn sie eine schützende Hülle besitzen. Das hatte zur Folge, dass im Zuge der Vermehrung auch diese Hülle vervielfacht werden musste. Die dafür erforderlichen Stoffe waren jedoch teilweise derart komplex, dass ihre Synthese mehrere Schritte erforderlich machte. Für die Steuerung dieses Prozesses boten sich Eiweiße mit einem spezifischen katalytischen Potenzial an. Damit die Zelle diese Helfer, wir nennen sie Enzyme, bilden konnte, musste deren Bauplan, genauso wie die zeitliche Abfolge ihrer Bereitstellung, im vermehrungsfähigen Molekül, der RNA, gespeichert sein. Man kann diese Enzyme daher sowohl als Werkzeuge der RNA wie auch als deren Boten begreifen, denn ihr Aufbau und der Zeitpunkt ihrer Aktivierung enthält Informationen zu Teilprozessen der Vermehrung.

Die Enzyme blieben nicht die einzigen Botenstoffe. Im Laufe ihrer langen Geschichte haben die Einzeller eine Vielzahl solcher Boten hervorgebracht. Die jeweiligen Stoffe sind unterschiedlich aufgebaut, gemeinsam ist ihnen, dass sie einen Impuls von außen aufnehmen, sich dadurch in spezifischer Weise verändern und die daraus erwachsende veränderte Wirkung wiederum bei anderen eine vorherbestimmte Reaktion auslöst. Letztlich kam es also darauf an, für jede anstehende Aufgabe einen Stoff zu finden, der die jeweils erforderliche Wirkung entfaltete. So gesehen, könnte man die Entwicklung des Lebens durchaus auch als Geschichte der Botenstoffe beschreiben. Die Einzeller leisteten hier ganze Arbeit. Sie brachten Botenstoffe hervor, die innere Prozesse regulieren und solche, die die Nutzung von Informationen aus der Umwelt ermöglichen, sie schufen Lösungen, um Sonnenenergie in körpereigenen Strukturen zu speichern und bei Bedarf wieder freizusetzen und sie erlangten die Fähigkeit, sich aus eigener Kraft fortzubewegen.

Die erfolgreiche Entwicklung der Pflanzen mit ihrer großen Artenvielfalt basiert auf der Beherrschung der Photosynthese. Das gilt in gewissem Sinne auch für Pilze, die durch ihre Symbiose mit grünen Pflanzen an dieser Errungenschaft partizipieren. Allen Pflanzen, die Pilze eingeschlossen, ist gemeinsam, dass sie ihre Lebensprozesse zum größten Teil mit Hilfe von Botenstoffen regulieren. Die Botenstoffe werden mit Hilfe des Wassers, der Luft oder anderer Medien zu den Zellen transportiert, die tätig werden sollen. Wenn zum Beispiel in den Blättern das lebensnotwendige Wasser knapp wird, könnte eine Maßnahme darin bestehen, die Wurzeln tiefer zu treiben, um dort eventuell fündig zu werden. Natürlich geht das nur, wenn diese Reaktion im Bauplan der Pflanze als Fähigkeit angelegt ist. Die Information „Wassermangel“, möglicherweise in den Blättern der Baumkrone entstanden, löst die Produktion entsprechender Botenstoffe aus, die, in die Tiefenwurzeln gesandt, dort Wachstum veranlassen. Dazu werden die Botenstoffe mit Hilfe spezieller Zellen durch den gesamten Korpus des Baumes geleitet. In anderen Fällen wird die Luft als Transportmittel genutzt. Wenn zum Beispiel einzelne Blätter beginnen, Chlorophyll abzubauen, weil die Witterung herbstlich wird, dann senden sie Botenstoffe aus, die über die Luft zu anderen Blättern gelangen und dort analoge Prozesse bewirken. Auf diese Weise entsteht eine Kettenreaktion, die den gesamten Baum erfasst. Vielleicht werden auch Nachbarbäume einbezogen, Luft ist halt kein wirklich zielgenaues Transportmittel.

Eine andere große Erfindung der Einzeller war die Bewegung aus eigener Kraft, die mit völlig neuen Anforderungen an die Informationsprozesse einherging. Eigentlich hatte es ganz harmlos begonnen. Einige der in den Meeren lebenden Einzeller hatten Ausstülpungen ihrer Hülle gebildet, die sie bewegen konnten. Durch diese Bewegungen entstanden im Wasser kleine Wellen, auf denen die Zelle davonschwebte. Für die Bewegung der Ausstülpungen ist jedoch Energie erforderlich, und die ist ein rares Gut. Der Einsatz von Energie musste deshalb auf solche Situationen begrenzt bleiben, die einen Ortswechsel tatsächlich notwendig machten. Dieser wird für einen Einzeller dann wichtig, wenn am gegebenen Aufenthaltsort die Stoffe zum Überleben knapp werden. Ein solcher Mangel ruft deshalb die Bildung von Botenstoffen hervor, die die Ausstülpungen in Bewegung setzen. Die Bewegungen waren jetzt zwar zweckgebunden, aber noch immer ziellos. Um ihnen ein Ziel geben zu können, mussten die Einzeller Sensoren entwickeln, die auf Nährstoffe reagieren. Trifft nun ein Atom oder Molekül mit einer entsprechenden Struktur auf eine sensibilisierte Stelle der Außenhaut, dann wird dort eine Reaktion ausgelöst, die zur Bildung des Botenstoffs führt. Dieser Botenstoff wird zu den Ausstülpungen geleitet, wo er deren Bewegung veranlasst. Welcher Sensor welche Ausstülpung aktiviert, um die georteten Nährstoffe zu erreichen, ist im Bauplan der Zelle festgelegt.

In der weiteren Entwicklung entstanden mehrzellige Wesen, die ihre Überlebensstrategie auf Bewegung gründeten. Für die Fortbewegung dieser, Tiere genannten, Lebewesen waren Aktionen verschiedener Zellen zu koordinieren, das heißt, die Informationen respektive Botenstoffe mussten auf viele Zellen, die sich an unterschiedlichen Orten im Organismus befanden, verteilt werden. Transporte durch die Luft oder mit Hilfe von Wasser sind relativ langsam und außerdem unsicher. Das mag für den Baum, der am selben Platz verharrt, kein Problem darstellen, für ein Tier, das sich bewegen will, schon. Es musste ein anderes Transportmittel gefunden werden, das die schnelle und zielgenaue Verbreitung der Informationen im gesamten Organismus ermöglichte. Dafür kamen elektrische Impulse in Frage, die über Leitungssysteme aus Nervenzellen eine schnelle und zielgenaue Weiterleitung der Informationen ermöglichten. Die Verbindungen zwischen den Nervenzellen wie auch zwischen den Nervenzellen und den anderen Körperzellen wurden weiterhin mit Hilfe von Stoffen gesichert, die den elektrischen Impuls aufnehmen, sich verändern und die veränderte Wirkung auf die folgende Zelle übertragen. Ist die folgende Zelle ebenfalls eine Nervenzelle, wird erneut ein elektrischer Impuls ausgelöst, der die Information weiterleitet. Ist die folgende Zelle eine Muskelzelle, kann die ankommende Wirkung beispielsweise eine Kontraktion und damit eine Bewegung hervorrufen.

Informationen über die Umwelt entstehen in Sensorzellen, die sich meist auf der äußeren Hülle befinden. Eine solche Information könnte beinhalten, dass Fressbares aufgetaucht ist. Für ein Tier gilt es nun, aus dieser Information eine zielgerichtete Aktion werden zu lassen, die mit der angestrebten Nahrungsaufnahme endet. Dazu muss es feststellen, woher die Information kam und welche Bewegungen in Richtung der erhofften Beute erforderlich sind. Falls diese ein Tier ist, muss es gefangen werden. Dazu braucht der Jäger seine Muskeln, vielleicht auch seine Waffen, für deren Einsatz genügend Energie bereitstehen muss. Das heißt, die Energiebereitstellung, aber auch die Verdauung, sind auf die zu erwartenden Aufgaben einzustellen. Für die Jagd sind also eine Reihe von Aktivitäten zu koordinieren, weshalb die Information „Fressbares aufgetaucht“ planmäßig im Organismus verteilt werden muss. Zu diesem Zweck bildete sich ein Netz von Nervenzellen, das in seiner Struktur den Ablauf des Prozesses, in unserem Fall der Jagd, abbildet. Nimmt nun ein Sensor der Außenhaut Fressbares in der Umwelt wahr, dann generiert er einen elektrischen Impuls, der über dieses neuronale Netz im Körper verteilt wird. Bei den Empfängern des Impulses wird die Produktion von Botenstoffen in Gang gesetzt, welche nun ihrerseits die entsprechenden Organe, Extremitäten und sonstigen Mitspieler aktivieren.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Jagd ist, dass eine mögliche Beute geortet wurde, das heißt, den Bewegungen eine Richtung gegeben werden kann. War es bei den Einzellern noch möglich, dass ein Signal eine bestimmte Ausstülpung der Hülle aktivierte, um die Bewegung in die erforderliche Richtung zu lenken, so sind bei mehrzelligen Wesen die Aktivitäten einer ganzen Reihe von Zellen zu koordinieren, denen allesamt eine Richtung vorgegeben werden muss. Um diese allgemeingültig bestimmen zu können, musste der Raum selbst eine Ausrichtung erhalten. Vorn und hinten ließen sich definieren, indem der Körper voneinander unterschiedene Teile ausprägte. Einige spezialisierte Zellen, zum Beispiel zur Nahrungsaufnahme, wurden an dem einen Ende konzentriert, andere, zum Beispiel zum Ausscheiden der Abfälle, am anderen. Da für das Auffinden und Einverleiben der Nahrung möglichst viele Informationen aus der Umwelt erforderlich sind, siedelte sich die Mehrzahl der Sensoren auf dieser Seite des Körpers an. Sie befanden dann auch: wo wir sind, ist vorn. Die Ausscheidung erfolgt nach der Verdauung, also hinten. Oben und unten ließen sich durch die  Schwerkraft bestimmen. Außerdem bildeten sich bei den meisten Arten zwei beinahe gleiche Körperseiten aus, die die seitlichen Dimensionen der Bewegung erschlossen. In diesem Koordinatensystem konnte nun eine Vielzahl von Bewegungsrichtungen definiert werden.

Die ersten Tiere lebten im Wasser, Bewegungen waren aber nicht nur dort, sondern auch im und auf dem Meeresboden möglich. Das heißt, unter Umständen war eine Bewegung nicht nur durch ihre Richtung definiert, sondern auch durch das Medium, in dem sie erfolgen sollte. Für alle Bewegungsvarianten mussten spezielle neuronale Netze zur Steuerung vorgehalten werden, mit der Folge, dass vor dem Beginn einer Aktion das am besten geeignete Bewegungs- oder Verhaltensmuster auszuwählen war. Zur Erleichterung dieser Aufgabe wurden die entsprechenden neuronalen Strukturen in Gehirnen, das heißt auf engem Raum konzentriert. Sie fanden in der Nähe des Ortes ihren Platz, an dem auch die meisten Sinnesorgane angesiedelt waren. Ein Kopf bildete sich heraus, der das Gehirn, die Organe zur Nahrungsaufnahme sowie die Mehrzahl der Sinnesorgane versammelte. Er wurde zur Steuerungszentrale des Organismus. Wegbereiter all dieser Neuerungen waren urzeitliche Würmer, die sich damit einen Platz in unserer Ahnengalerie sicherten.

Mit der Herausbildung der Gehirne differenzierten sich auch die Aufgaben der Nervenzellen. Eine Gruppe dieser Zellen übernahm die Speicherung der Bewegungs- und Verhaltensmuster sowie der mit ihnen verbundenen Erfahrungen. Diese Nervenzellen mussten in der Lage sein, die entstandenen neuronalen Strukturen zu festigen, wenn deren Bedeutung für das Leben wuchs. Sie mussten aber auch Verbindungen wieder lösen können, sollten sie nicht mehr benötigt werden. Eine andere Gruppe von Nervenzellen spezialisierte sich auf die Vernetzung der nach und nach entstehenden Hirnbereiche. Sie mussten vor allem in der Lage sein, eine Vielzahl derartiger Verbindungen herzustellen, das heißt das Networking im Gehirn zu sichern. Eine dritte Gruppe schließlich blieb für den Transport der Informationen im Körper zuständig. Zu diesem Zweck bildeten sie einen Strang, gewissermaßen eine Datenautobahn, der die gesamte Länge des Körpers durchzog. Von diesem Strang gehen Verzweigungen in beinahe alle seine Teile, so dass die Informationen schnell und umfassend verteilt werden können.

Wird nun ein Umweltreiz, zum Beispiel eine potenzielle Beute, registriert, das heißt, ein Sensor, sagen wir der Geruchssinn, spricht an, dann sendet er diese Information in Form eines elektrischen Impulses über die Nervenleitungen an das Gehirn. Dort aktiviert der Impuls das dieser Wahrnehmung zugeordnete Verhaltensmuster. Das entsprechende neuronale Netz veranlasst die Produktion von Botenstoffen, mit denen die für die bevorstehende Aktion erforderlichen Organe beziehungsweise Zellen aktiviert werden. Eine derartige Kopplung einzelner Signale mit vorherbestimmten Verhaltensmustern ist insbesondere für Insekten und Krebse typisch. Sie ist genetisch fixiert und damit für alle Tiere einer Art in gleicher Weise vorgegeben. Wie ist das aber mit der Bewegung dieser Tiere? Basiert sie ebenfalls auf festgelegten Mustern? Wenn eine Ameise den Weg zurück zu ihrem Volk sucht, zum Beispiel weil das gefundene Blatt abgeliefert werden soll, dann folgt sie einem fest verankerten Verhaltensmuster. In ihren Bewegungen, ihrem Lauf durch den Wald muss sie aber die konkreten Gegebenheiten des Weges berücksichtigen, will sie ihr Ziel erreichen. Vielleicht muss sie über einen Zweig klettern oder eine abschüssige Stelle überwinden. Das Verhaltensmuster, Blatt nach Hause bringen, wird deshalb mit kleinteiligen Bewegungsmustern für jeden Abschnitt der Gesamtbewegung untersetzt. Diese Teilbewegungen sind ebenfalls in neuronalen Netzen angelegt, ihre jeweilige Kombination erfolgt jedoch in Anpassung an die konkrete Situation. Mit anderen Worten, Zielgebung oder Verhaltensmuster und Ausführung, das heißt Bewegungsmuster basieren auf getrennt voneinander existierenden neuronalen Strukturen, die sich im Laufe der Entwicklung auch in unterschiedlichen Bereichen des Gehirns konzentrierten.

zuletzt geändert: 03.0.2019

Bild: Reitender Bote nach A. Dürer, gefunden: de.academic.ru