Man hat den Eindruck, Musik wird für die Menschen immer wichtiger. Ob beim Sport, beim Autofahren oder in öffentlichen Verkehrsmitteln, beim Tanzen, Lieben, Lernen, im Film oder in einer Show – Musik ist immer dabei. Woher kommt das? Sind die Menschen heute musikalischer als früher? Musik hat im Leben der Menschen schon immer eine Rolle gespielt. In den Anfängen der Menschheitsentwicklung war das wichtigste Instrument sicher die Stimme – die ruhige Stimme der Mutter, die ihr Baby in den Schlaf singt, die fordernde Stimme, die zur Jagd oder gar zum Kriegszug ruft und natürlich die werbende Stimme der Liebenden. Bald kamen zum Gesang Instrumente hinzu, die vor allem den Rhythmus betonten und auf diese Weise zum Tanz aufforderten. Hinzu kamen auch Worte, die, mitunter beschwörend, das Anliegen der Musik unterstützten.
Die Menschwerdung war in besonderem Maße mit der Herausbildung der Sprache verbunden. Sprache basiert auf der Bildung von Wörtern, die nach bestimmten Regeln kombiniert werden, so dass man mit ihnen unterschiedliche Dinge und Sachverhalte für alle gleichermaßen verständlich beschreiben kann. Natürlich lassen sich mit der Sprache auch Emotionen ausdrücken oder beeinflussen. Die Worte brauchen dafür jedoch einen langen Weg. Sie müssen erst einmal akkustisch verstanden werden, dann ordnet ihnen das Gehirn einen Inhalt zu, der im Kontext der Situation interpretiert werden muss, bevor die gewünschte Wirkung erzielt werden kann. Musik hat den Vorteil, dass sie einen direkten Zugang zu der Gefühlen der Menschen findet.
Die meisten Männer waren wahrscheinlich schon einmal in der Situation, eine Liebererklärung oder gar einen Heiratsantrag formulieren zu wollen. Oh Schreck, das kann ziemlich in die Hose gehen. Auf die wohl gesetzten Worte ist nämlich nicht immer Verlass. Man kann sich alles so schön ausmalen, wenn die Umstände nicht passen oder die Angebetete nicht in Stimmung ist, dann steht der Erfolg in den Sternen. Also, eine entsprechende Stimmung muss her. Gutes Essen, Blumen, Kerzen, vielleicht ein Geschenk – das alles kann von Nutzen sein. Eines sollte nicht fehlen: die passende Musik. Musik hilft, ein stimmungsvolles Ambiente zu erzeugen. Auch der Klang und die Färbung der Stimme des Werbenden spielen eine Rolle. Der Klang der Stimme drückt direkter als die gebrauchten Worte es vermögen, die Gefühle aus. Letztlich ist es in einer solchen Situation wohl nicht entscheidend, was man sagt, sondern wie es gesagt wird.
Mit der Stimme lassen sich nicht nur liebevolle Gefühle, sondern auch Abneigung, Hass, Überheblichkeit oder Desinteresse transportieren. Das Gleiche gilt natürlich auch für die Musik, auch sie kann ganz unterschiedliche Gefühle ansprechen. Zur Untermalung eines Heiratsantrags würde man wahrscheinlich nicht auf einen Militärmarsch zurückgreifen, denn der würde bei der Angebeteten kaum eine gnädige Stimmung erzeugen. Wahrscheinlich würde sie einem „Durchmarsch“ ins Ehebett mit Widerstand begegnen. Zum Glück gibt es für jede Situation die passende Musik – seien es Kinderlieder, Kirchenlieder, Liebeslieder, Trauermusik, Tanzmusik, Musik zur Entspannung oder zum Anheizen von Aggressionen. Die verschiedenen Arten von Musik sind Ausdruck von Stimmungen und sie erzeugen oder verstärken diese. Worte sind dazu nicht zwingend erforderlich. Trotzdem können Worte aber auch passende Geräusche die emotionale Wirkung einer Musik verstärken.
Bleibt die Frage, warum Musik für uns scheinbar immer wichtiger wird. Wir leben in einer stark vernetzten Welt, in der verbale Kommunikation, basierend auf Sprache und Schrift, allgegenwärtig erscheint. Nur wer in der Lage ist, persönliche Netzwerke aufzubauen, zu pflegen und zu erweitern, hat gute Chancen auf beruflichen Erfolg. Ob man einen Job sucht, Produkte vermarkten oder seine Ideen unter das Volk bringen will, keiner kommt an einem solchen auf verbaler Kommunikation beruhenden Networking vorbei. Das führt letztlich auch dazu, dass man sich mit seinem Leben immer mehr in die Öffentlichkeit begibt. Dieses Leben in der Öffentlichkeit schreit förmlich nach einem Gegengewicht, nach Möglichkeiten des „Für-sich-seins“. Eine solche Möglichkeit ist die Musik. Sie bietet gleichzeitig die Chance, dieses „Für-sich-sein“ mit anderen zu teilen, wenn man es denn will. Musik ist darüber hinaus in unserer so kompliziert gewordenen Welt etwas Einfaches, das nicht erklärt werden muss, das direkt die Gefühle anspricht. Nicht zu unterschätzen ist auch die Tatsache, dass Musik jeder Art heute beinahe immer und überall verfügbar ist.
Aber, was ist Musik überhaupt? Ganz nüchtern betrachtet entsteht Musik dadurch, dass mit Hilfe von Instrumenten Schwingungen erzeugt werden. Derartige Instrumente können die Stimmbänder eines Menschen sein, aber natürlich auch die mechanisch zum Schwingen gebrachten Saiten einer Gitarre oder eine Lautsprechermembran, die mit Hilfe von elektrischem Strom Schwingungen erzeugt. Das, was da zum Schwingen gebracht wird, ist die Luft. Die Schwingungen der Luft breiten sich in Form von Schallwellen aus. Aber, wie wird bewegte Luft zu Musik? Wir nehmen Musik mit einem Sinnesorgan wahr – dem Ohr. In das Ohr gelangen die Schallwellen vorwiegend über die Ohrmuschel und den äußeren Gehörgang. Sie werden zum Trommelfell weitergeleitet, dass von den Schallwellen seinerseits in Schwingungen versetzt wird. Im Innenohr werden die Luftwellen dann in Flüssigkeitswellen, das heißt in Bewegungen der dort vorhandenen Lymphe, umgewandelt. Diese Flüssigkeitswellen treffen auf Haarzellen, die die eigentlichen Sinneszellen sind. Wird eine der zirka 3.500 Haarzellen durch die Lymphe bewegt, generiert sie einen elektrischen Impuls, der an das Gehirn weitergeleitet wird.
Durch ihre differenzierte räumliche Struktur reagieren die Haarzellen jeweils auf spezielle Frequenzen im Bereich von 16 Hz bis 20.000 Hz. Auf diese Weise kann das Gehirn die von den Haarzellen eingehenden Signale nach der Frequenz der ursprünglichen Schallwellen unterscheiden. Außerdem haben die Schallwellen einen unterschiedlichen Energiegehalt, der sich im Druck, mit dem die Schallwelle auf das Ohr trifft, manifestiert. Der unterschiedliche Druck führt letztlich zu unterschiedlich starken Bewegungen der Haarzellen und damit zu unterschiedlich intensiven Impulsen an das Gehirn. Damit sich die Haarzellen überhaupt bewegen, das heißt, damit man etwas hören kann, muss die auftreffende Schallwelle eine Mindeststärke haben. Ist sie wiederum zu stark, das heißt zu energiereich, kann sie die Haarzellen schädigen, unter Umständen sogar zerstören.
Das Gehirn ordnet den von den Haarzellen eintreffenden Impulsen Sinneseindrücke zu. Das können Geräusche, Laute oder Töne sein. Impulse, die für hochfrequente Schallwellen stehen, werden durch hohe Töne gekennzeichnet. Impulse, die von niedrigfrequenten Schallwellen initiiert wurden, sind mit tiefen Tönen besetzt. Die Stärke des Impulses wird über unterschiedliche Lautstärken differenziert. Würde das Gehirn es dabei bewenden lassen, dann würde das unserem armen Menschlein wahrscheinlich wenig helfen, schon gar nicht, wenn er in einer Großstadt lebt. Der auf ihn hereinbrechende Schwall von Geräuschen, Lauten und Tönen würde ihn binnen kurzer Zeit zur Verzweiflung treiben. Das Gehirn hat also noch eine weitere Aufgabe, nämlich die Schallquellen voneinander abzugrenzen. Dabei ist es hilfreich, dass wir zwei Ohren haben und auf diese Weise den jeweiligen Verursacher der Schallwellen recht präzise orten können. So können wir unwichtig erscheinende Schallquellen ausblenden und uns auf wichtiges konzentrieren.
Ähnlich wie beim Sehen ist auch beim Hören der Umstand, dass eine Sinneszelle nicht reagiert, also keinen Impuls aussendet, ebenfalls eine Information, die vom Gehirn verarbeitet wird. Ganz allgemein wird dem Ausbleiben von Signalen der Haarzellen der Sinneseindruck Stille oder Lautlosigkeit zugeordnet. Es mag zwar ab und an angenehm sein, Stille zu genießen, an dieser Stelle ist jedoch der Umstand wichtiger, dass durch diese Fähigkeit des Gehirns die kurzen Pausen zwischen den Lauten und Tönen erkannt werden können. Nur mit Hilfe dieser Pausen kann der Geräuschebrei aufgelöst, können Laut- oder Tonfolgen erkannt werden.
Beim Sprechen werden also Schallwellen erzeugt, mit Pausen darin. Die Schallwellen gelangen in das Ohr und generieren dort elektrische Impulse, die an das Gehirn weitergeleitet werden. Das Gehirn ordnet den damit verbundenen Informationen Laute zu. Bestimmte Lautfolgen ergeben Wörter. Diese Lautfolgen oder Wörter gleicht das Gehirn mit dem Speicher, dem Gedächtnis ab. Wird es fündig, kann es der Lautfolge den gespeicherten Sinn zuordnen und der weiteren Verarbeitung zur Verfügung stellen. Bei der Musik funktioniert das ähnlich. Auch hier werden die elektrischen Impulse von den Sinneszellen an das Gehirn weitergeleitet. Das Gehirn ordnet diesen Signalen Sinneseindrücke, das heißt Töne und Tonfolgen oder auch Geräusche zu, die mit dem Speicher abgeglichen werden. Wird das Gehirn fündig, dann erkennt man die Melodien und kann mitsummen. Selbst wenn man die konkrete Melodie nicht erkennen sollte, so kann man sie vielleicht einem Musikgenre zuordnen und schon nach den ersten Takten feststellen,ob einem diese Musik gefällt. Erfahrungen spielen also bei der Entwicklung von musikalischen Vorlieben eine große Rolle. Da immer neue Erfahrungen hinzukommen, können sich die Vorlieben ändern.
Neben dem durch Erfahrungen geprägten Musikgeschmack gibt es noch ein weiteres Kriterium, an dem sich entscheidet, ob uns eine Musik gefällt oder nicht – ihr Rhythmus. Ob man den jeweiligen Rhythmus als angenehm empfindet oder nicht, hängt wahrscheinlich mit den Biorhythmen des Körpers zusammen. Ähnliches gilt übrigens auch für Tonfolgen. Es scheint eine Affinität des Körpers für Harmonien zu geben, jedenfalls gibt es kaum eine andere plausible Erklärung für unsere Harmoniesüchtigkeit in puncto Musik. Es sind also mehrere Faktoren, die unsere Musikvorlieben beeinflussen. Der wichtigste Unterschied zur Sprache besteht jedoch darin, dass Musik nicht erst analysiert werden muss, damit man ihre Bedeutung versteht. Sie transportiert Gefühle unmittelbar. Und trotzdem – erst in unserem Kopf verwandelt sich bewegte Luft in Geräusche, Sprache und Musik.
Bild: Francesco de Murau – Der Lautenspieler
Zuletzt geändert: 13.01.2019