Strukturen und Bewegungen

Alles, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, kann man mit den Begriffen Strukturen, Bewegungen und Kräfte zusammenfassen. Strukturen sind die Grundlage für Masse, Bewegung ist die Erscheinungsform von Energie. Masse und Energie beziehen sich im weitesten Sinn auf Stoffe, also Dingen, die man wahrnehmen kann. Im Gegensatz dazu erkennt man Kräfte nur an ihren Wirkungen. Ferdinand meinte, dass wir uns als nächstes mit den Strukturen und ihren Bewegungen beschäftigen sollten, bevor wir das Unsichtbare zu deuten versuchen.

Purzelbaum, Ordnung!

In einem alten Märchenfilm über Schneewittchen und die 7 Zwerge sind die Zwerge wie Geschwister charakterisiert, mit der üblichen Gruppenstruktur. Der Älteste gibt den Ton an. Er ist der gesetzte, seriöse, der sagt, was zu tun ist. Der Jüngste mit Namen Purzelbaum ist der Spaßmacher, der immer Schabernack im Sinn hat und der deshalb öfter ermahnt werden muss. Er ist der chaotische Faktor, der die Handlung vorantreibt. Damit das Ganze nicht aus dem Ruder läuft, ertönt des öfteren der Ruf des Ältesten: Purzelbaum, Ordnung! Warum ich das erzähle? Nun, es kam mir in den Sinn, als ich über das Bestreben der Menschen nachdachte, in der scheinbar so chaotischen Natur eine innere Ordnung zu finden.

Vieles, was unser Denken heute ausmacht, hat seine Wurzeln bei den alten Griechen.Sie stellten unter anderem vielfältige Überlegungen zu den Grundbausteinen der Welt, zu dessen innerer Ordnung an. So entstand die weit verbreitete Vorstellung, dass die grundlegenden Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde seien. Aus den verschiedenen Kombinationen dieser Elemente und deren Wechselwirkungen sei die Vielfalt der Welt entstanden. Ein Konzept der natürlichen Bedingtheit der Welt war aber nicht allen geheuer, denn wo war dann der Platz der Götter. Für sie stand fest, dass die Götter die Natur erschaffen hatten. Damit war aber die Frage nach dem Aufbau der Welt noch nicht geklärt. Manche Philosophen vertraten die Ansicht, dass alles und jedes aus kleinen Bauteilen zusammengesetzt sei, die ein Abbild des Ganzen, dem sie zugehörten, seien, nur eben kleiner. Demnach würden Steine aus kleineren Steinen bestehen und Pferde halt aus pferdchenartigen Bauteilen. Demokrit ging einen anderen Weg. Sein Atomkonzept brach mit den bisherigen Überlegungen, die ausschließlich auf dem basierten, was sich wahrnehmen ließ und die die Bausteine deshalb nur als Miniaturen des Ganzen begreifen konnten. Er ging davon aus, dass die Welt aus Atomen besteht, die außer Größe, Gewicht und Form keine Eigenschaften besaßen. Die Vielfalt der Welt entstand demnach aus unterschiedlichen Kombinationen dieser einheitlich verfassten Bausteine.

Diese Theorie sollte sich als hellsichtige Spekulation erweisen. Sie ist zudem zutiefst dialektisch, denn die ganze Vielgestaltigkeit der Welt wird auf Grundbausteine zurückgeführt, die sich nur in wenigem unterscheiden. Daraus erwuchs aber die Frage, wie diese Vielgestaltigkeit aus den einfachen Bausteinen entstehen konnte und ob es eine irgendwie geartete Ordnung in dieser Vielfalt gab.

Antoine de Lavoisier verröffentlichte 1789 eine Liste von 33 einfachen Stoffen, die sich nicht durch chemische Experimente in weitere Substanzen aufspalten ließen. Sie konnten also keine Gemische von irgendetwas darstellen. Es mussten die natürlichen Grundbausteine, die tatsächlichen Elemente dieser Welt sein. Darunter waren Wasserstoff und Sauerstoff, genauso wie Schwefel, Zink, Gold oder Platin. Allerdings fehlte noch immer ein Ordnungsprinzip für diese Elemente. Demokrit hatte die These formuliert, dass sich die Atome in ihrem Gewicht unterscheiden, was ein möglicher Ansatz für ein Ordnungsprinzip sein konnte. Es war John Dalton, ein Engländer, der 1803 als erster Ergebnisse einer experimentellen Ermittlung von Atomgewichten veröffentlichte. Wenn seine Verfahren auch nicht frei von Fehlern waren, so ergaben seine Messungen und Berechnungen doch vergleichbare Größen für Atomgewichte und damit einen Anhaltspunkt, um Ordnung in die Vielfalt der Elemente zu bringen.

Die entstandene Reihung der Elemente nach dem Gewicht ließ aber noch keine Rückschlüsse hinsichtlich ihrer chemischen Eigenschaften zu. Der Russe Dimitrij Mendelejew erschuf ein System, in dem alle bekannten Elemente nach ihren Eigenschaften in Reihen und Spalten geordnet waren. Mit seinem System, das die Elemente einerseits nach ihrem Atomgewicht ordnete und andererseits nach ihren Eigenschaften, stellte er eine wiederkehrende Periodizität von Eigenschaften fest. Auf dieser Basis konnte er erklären, dass an einigen Stellen seines Systems noch freie Plätze bleiben mussten, Plätze für Elemente, deren Gewicht und Eigenschaften er vorhersagen konnte, die aber schlicht noch nicht entdeckt waren. Und, diese Elemente wurden entdeckt.

Allerdings war damit noch immer nicht der Zusammenhang zwischen dem Atomgewicht und den Eigenschaften der Atome geklärt. Dazu waren eine Reihe weiterer Schritte erforderlich. Sie führten zu einer Vorstellung vom Atom, die über das Gewicht hinausging. Statt Größe und Form, wie Demokrit dachte, lag der Schlüssel zum Verständnis des Atoms in seinem Aufbau. Die Physiker waren gefragt. Mit der Entwicklung eines modernen Atommodells, das maßgeblich vom dänischen Physiker Nils Bohr geprägt wurde, gelang es, solche Erklärungen zu liefern. Nils Bohr ging davon aus, dass Elektronen auf mehreren Ebenen um den Atomkern kreisen. Elemente, auf deren äußerer Hülle sich jeweils nur ein Elektron bewegt, werden sich wegen dieser gemeinsamen Besonderheit auch ähnlich verhalten. Elemente mit zwei Elektronen auf der äußeren Hülle würden gleichfalls ähnliche Eigenschaften ausweisen und so weiter. Das Periodensystem der Elemente spiegelt also letztlich Ähnlichkeiten im Atomaufbau wider. Es sind demnach zwei Faktoren, die die Eigenschaften der Elemente und damit die Vielfalt der Welt bestimmen – die Größe des Atomkerns, mithin seine Masse sowie die energetische Verfasstheit des Atoms, die sich in der Bewegung der Elektronen widerspiegelt. Wenn man so will, Struktur und Bewegung auf atomarer Ebene.

Quelle: GEO kompakt Nr. 31, Martin Paetsch, Der Herr der Elemente, S.67-78

Bild: maerchen-filme.de

zuletzt geändert: 01.02.2019