Aufbruch in eine neue Zeit

Das römische Reich, genauer das weströmische Reich, war unter dem Ansturm germanischer Stämme untergegangen. Kaiser Konstantin hatte schon vorher im strategisch günstiger gelegenen Byzanz eine neue Hauptstadt errichten lassen. Außerdem forcierte er Reformen und er förderte das Christentum, das in der Folgezeit zur Staatsreligion aufstieg. Das aus dieser Entwicklung hervorgegangene oströmische Reich konnte dank einer starken Zentralmacht, einer effizienten Verwaltung und einem schwunghaften Fernhandel weitere eintausend Jahre bestehen. Byzanz reklamierte nicht nur die Kontinuität des römischen Reiches für sich, es wurde auch zum Bewahrer des wissenschaftlichen und kulturellen Erbes der griechisch-römischen Geschichte. Ohne diesen Hort an Kontinuität wäre der spätere Aufbruch Westeuropas in die vorderen Ränge des Weltentheaters kaum möglich gewesen, denn dort war vieles von diesem Erbe in Vergessenheit geraten. Trotzdem musste auch in Westeuropa das Rad nicht neu erfunden werden. Will heißen, dass man auch dort auf Errungenschaften vergangener Jahrhunderte aufbaute. Außerdem brachten Händler und andere Reisende immer wieder Ideen, Werkstoffe und Erzeugnisse aus fernen Ländern mit, die zur Quelle von Fortschritt wurden.

Im 11. Jahrhundert kam es zu folgenreichen Veränderungen im Ackerbau. Die Dreifelderwirtschaft setzte sich durch, der Holzpflug wurde vom Eisenpflug verdrängt und es wurde ein neuartiges Geschirr benutzt, das es ermöglichte, Pferde statt der bis dahin üblichen Ochsen für die Feldarbeit einzusetzen. Mit Hilfe dieser Neuerungen konnten höhere Erträge erzielt werden, die ein Bevölkerungswachstum ermöglichten. Trotz der Ertragssteigerungen blieb die Lage der Bauern jedoch prekär, denn sie waren in eine starke Abhängigkeit von ihren Grundherren geraten. So mussten sie Fronarbeit auf den Äckern und Anwesen der Herren leisten oder diesen einen großen Teil ihrer Ernte abtreten. Dass sich eiserne Flugscharen verbreiten konnten, war Fortschritten bei der Eisenverhüttung zu verdanken, die auch die Herstellung vieler anderer, neuer oder verbesserter Gebrauchsgegenstände ermöglichten. Dies führte zu einem sprunghaft steigenden Bedarf an Eisenerz. Kupfer und Silber, die auch als Zahlungsmittel eingesetzt wurden, waren ebenfalls in wachsendem Maße gefragt, so dass der Bergbau florierte und zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor wurde. Der Aufschwung, der mit der verbesserten Eisenverarbeitung und dem prosperierenden Bergbau ausging, kam besonders den Städten zugute, denn es entstanden neue Gewerke, die auch den Handel belebten. Die oft weitgereisten Händler brachten Produkte aus fernen Ländern mit – Gewürze aus Indien, Seide, Porzellan und Edelsteine aus China sowie wertvolle Stoffe aus Arabien. Diese Luxusgüter waren bei den Herrschaften bald heiß begehrt. Da nicht jeder von ihnen eine Erzmine sein eigen nannte, pressten sie die hörigen Bauern aus, um am Luxus teilhaben zu können. Den Bauern blieb oftmals kaum das Nötigste zum Überleben.

Mit dem Fernhandel kamen aber nicht nur Luxusgüter, auch Ideen und Erfindungen fanden ihren Weg nach Europa. Insbesondere dem Austausch mit China, das zu jener Zeit auf vielen Gebieten führend war, verdankte man so manche Inspiration, wie das Nutzen der Pferde als Zugtiere oder die Verwendung eines Kompasses zur Navigation auf See. Der Landweg nach China und Indien war jedoch nicht nur lang sondern auch gefährlich. Als Alternative bot sich der Seeweg durch das Mittelmeer an, bei dem man allerdings auf die Dienste von Byzanz angewiesen war. Andere Nutznießer des Seehandels waren italienische Städte, wie Pisa, Genua und Venedig, deren Kaufleute zu großem Wohlstand und politischem Einfluss gelangten. Für sie war es wichtig, direkt in Konstantinopel vertreten zu sein. Immer mehr italienische Kaufleute und Bankiers ließen sich dort nieder, so dass Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung nicht lange auf sich warten ließen. Und dann kamen auch noch die Kreuzfahrer, die auf ihrem Weg in das gelobte Land, Konstantinopel im Jahre 1204 eroberten und plünderten. Von den wirtschaftlichen und politischen Folgen dieser Heimsuchung sollte sich Byzanz nie wieder ganz erholen. Die zunehmend unsicher werdende Lage im oströmischen Reich veranlasste Gelehrte und Künstler, das Land zu verlassen und in den italienischen Handelsstädten ihr Glück zu suchen. Sie brachten nicht nur ihr eigenes Wissen sondern auch Texte aus der Antike sowie Erkenntnisse arabischer und indischer Gelehrter mit. Dieser Zustrom an Wissen befruchtete die geistige Entwicklung Westeuropas. Er löste auch eine Welle enthusiastischer Suche nach weiteren antiken Quellen aus. Die Beschäftigung mit der latainischen Sprache gehörte daraufhin bald wieder zum Rüstzeug von Künstlern und Wissenschaftlern.

Die Schiffe, die die Waren aus fernen Ländern brachten, hatten eines Tages auch eine andere, todbringende Fracht an Bord: die Pest. Der scharze Tod, die schlimmste Katastrophe seit Menschengedenken, raffte bereits in einer ersten großen Welle von 1347 bis 1351 rund ein Drittel der europäischen Bevölkerung dahin. Die Pest verschonte auch die Herren, weltliche wie geistliche, nicht. Sie waren eben auch nur Sterbliche. Aber, wenn diese Herrschaften nicht unantastbar waren, warum sollten es dann die sie begünstigenden Gesetze und Regeln sein, zumal sich diese in Zeiten der Not nicht bewährten? Veränderungen schienen nicht nur dringend, sondern auch möglich zu sein. Vor diesem Hintergrund lösten sich Künste und Wissenschaften einen Schritt weit von der bis dahin alles beherrschenden Kirche. So besannen sich die Mediziner darauf, nicht nur über altes Wissen zu dozieren, sondern die Natur des Menschen zu erforschen, um ihm besser helfen zu können. Nicht ein Leben nach dem Tode sondern das diesseitige Leben sollte wieder den Mittelpunkt des Denkens bilden.

Die schweren Jahre hatten auch gezeigt, dass eine effiziente Verwaltung in der Lage ist, Krisenzeiten zu managen, selbst dann, wenn der Herrscher versäumte, das Seinige zu tun. Es war also wichtig, die Verwaltungen zu stärken, damit sie zum Wohle der Gemeinschaft tätig würden. Gleichzeitig verschärfte die Pest jedoch die sozialen Konflikte. Ganze Landstriche waren verwaist, Familien und Dörfer stark dezimiert. Viele der Herren waren trotzdem nicht bereit, irgendwelche Abstriche an ihrem Lebensstil zuzulassen. Die verbliebenen Bauern sollten nun all die Lasten tragen, die vorher auf breiteren Schultern verteilt waren. Vielerorts wurde die Drangsal so unerträglich, dass die Bauern keinen anderen Ausweg sahen, als sich ihr durch Flucht in eine Stadt zu entziehen. Das war natürlich nicht im Sinne der Herren, schmälerte doch jede Flucht eines Bauern ihren Geldbeutel. Sie scheuten auch vor Gewalt nicht zurück, um die angespannte Lage in den Griff zu bekommen. Wo dies trotzdem nicht gelang, rief man die Staatsmacht zur Hilfe, die nun ihrerseits die Landflucht verbot. Die Bauern wurden damit vollends zu Sklaven ihrer Scholle respektive ihres Grundherrn gemacht. Für einige dieser Herren hatte die Pest aber auch einen positiven Effekt, denn sie konnten verwaiste Ländereien unter ihre Kontrolle bringen und damit ihren Besitz und ihre Macht vergrößern. Die Konflikte wurden dadurch allerdings nicht gelöst, eher im Gegenteil. Aufruhr und bewaffnete Auseinandersetzungen waren eine wiederkehrende Folge.

Die Pest hatte England besonders schwer getroffen, war ihr doch dort fast die Hälfte der Einwohner zum Opfer gefallen. Die Grundherren gingen deshalb dazu über, die Schafzucht zu forcieren, nicht zuletzt, weil man für die Weidewirtschaft nur wenige Bedienstete brauchte. Der Staat förderte den Ankauf und die Verarbeitung der Wolle. Außerdem ließ er Straßen, Wasserwege und Häfen ausbauen, damit das hergestellte Tuch schnell und kostengünstig exportiert werden konnte. Die aus dem Handel sprudelnden Zölle sollten bald zu seiner wichtigsten Einnahmequelle werden. Die guten Geschäfte führten allerdings auch dazu, dass die Landlords bestrebt waren, die noch verbliebene Landbevölkerung zu vertreiben und sich die Allmenden anzueignen, um mehr Platz für die Ausweitung der Weidewirtschaft zu erhalten. Insgesamt gesehen schufen die Reformen jedoch die Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Aufstieg des Landes.

Egal, welche konkreten Maßnahmen in den einzelnen Ländern ergriffen wurden, der Staat musste sich fortan stärker in die Regelung der sozialen Beziehungen einbringen. Für diese Aufgabe brauchte man die örtlichen Herrscher mit ihren Verwaltungen, denn diese kannten die spezifischen Gegebenheiten, die bei der Durchsetzung der Regeln zu berücksichtigen waren. Viele dieser Herren nutzten die Gelegenheit, um ihre eigene Stellung im Machtgefüge auszubauen. Aber nicht nur die regionalen Herrscher pochten zunehmend auf Souveränität, auch viele Städte, die durch den Handel zu Reichtum und Wohlstand gelangt waren, forderten mehr Eigenständigkeit. Unter diesen Bedingungen hatte es eine Zentralregierung schwer, ihren Machtanspruch durchzusetzen. Die aus dieser Gemengelage entstehenden Konflikte führten nicht selten zu kriegerischen Auseinandersetzungen, in denen Reichtum und Macht schnell gewonnen aber auch wieder verloren werden konnten.

In diesen unruhigen Zeiten etablierten sich die italienischen Handelsstädte, allen voran Florenz, als Wiege des Fortschritts. Kaufleute und Bankiers konzentrierten dort große Reichtümer in ihren Händen, wobei ihnen Neuerungen, wie die doppelte Buchführung und die Einführung des Handelswechsels, zugute kamen. Sie verwendeten einen Teil ihres Vermögens darauf, imposante Bauwerke zu errichten, Künstler zu beschäftigen und die Wissenschaften zu fördern. Verbunden mit der Wiederbelebung antiken Wissens entstand ein Strom von Innovationen, der der gesellschaftlichen Entwicklung Schwung verlieh. Die Baukunst hatte beispielsweise bisher einzig auf den Erfahrungen der Baumeister basiert, die neuartige Aufgaben nur nach der Methode von Versuch und Irrtum angehen konnten. Mit den neuen Erkenntnissen war man nun in der Lage, statische Berechnungen vorzunehmen, die das Bauen planbar machten. Da auch die alte Kunst des Kuppelbaus wiederbelebt worden war, konnten beeindruckende Bauwerke entstehen. Die Maler wendeten sich der Zentralperspektive zu, um in ihren Bildern einen räumlichen Eindruck zu erzeugen und sie rückten immer öfter den Menschen mit seiner ganzen Körperlichkeit in den Mittelpunkt ihres Schaffens. Das Leben wurde nach der geistigen Bevormundung im Mittelalter und der körperlichen Bedrohung durch die Pest in neuer Weise gefeiert. Es erlebte eine Renaissance.

Verlierer des durch die Pest beförderten Umbruchs war die katholische Kirche. Sie hatte in der Zeit davor das geistige Leben beinahe vollständig beherrscht. Diese Herrschaft wurde nun immer öfter als Bedrückung empfunden. Hinzu kam, dass die Kirchenfürsten, meist Söhne weltlicher Herren, es ihren Brüdern gleichtun wollten und deshalb ihr Streben mehr auf die Erweiterung der eigenen Machtfülle und die Entfaltung eines grösst möglichen Luxus als auf das Seelenheil der ihnen Anvertrauten richteten. Gleichzeitig hatten sich viele von ihnen in der Stunde der Bewährung, als der Schwarze Tod unablässig die Sense schwang, als nichtsnutzig erwiesen. Jedenfalls sahen das viele Menschen so. Einige von ihnen fanden sich zu Laiengruppen zusammen, die, unabhängig von der Kirche, nach neuen Wegen zu Gott suchten. Später begründeten Theologen, wie John Wyclif und Jan Hus, dass es für die christliche Kirche unabdingbar geworden sei, zu ihren spirituellen Wurzeln zurückzufinden. Und schließlich war es die Reformation, die den Einfluss der Papstkirche auch faktisch beschränkte.

In gewissem Sinn sind sowohl die Renaissance als auch die Reformation Teil des durch die Pest beschleunigten gesellschaftlichen Umbruchs jener Zeit. Sie haben in ihren Ursachen, aber auch in ihren langfristigen Wirkungen, manches gemeinsam. Trotzdem stehen sie sich in ihren Konsequenzen unversöhnlich gegenüber. Dieser Gegensatz wird im Wirken der Renaissance-Päpste in besonderem Maße deutlich. Diese Herren waren tatkräftige, dem Diesseits verschriebene Machtmenschen und gleichzeitig Förderer von Architektur, Kunst und Technik, zumindest, solange sie ihren Interessen dienten. Gleichzeitig waren sie Herrscher, die ihren Machtanspruch als Territorialfürst wie auch als Kirchenoberhaupt rigoros durchsetzten. Die Reformation war im Unterschied dazu von egalitären Gedanken getrieben. In den Überlegungen der Reformatoren hatten Prachtentfaltung und Machtzuwachs keinen Platz. Die Päpste erschienen ihnen daher als Inkarnation des Bösen. Der daraus erwachsende Dissens erwies sich als unüberbrückbar. Er führte letztlich zur Spaltung der Kirche und zu einer nicht enden wollenden Reihe von Verfolgung und Krieg.

Der Reformationsgedanke hätte wahrscheinlich nie eine so große Strahlkraft erreicht, wenn nicht die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern seine umfassende Verbreitung ermöglicht hätte. Mit dem Buchdruck konnte das jahrhundertealte Monopol der Kirche auf die Bewahrung, Verbreitung aber auch Unterdrückung von Wissen gebrochen werden. Überzeugungen, genauso wie Forschungsergebnisse, wurden nun schnell, unter Umgehung jeglicher Zensur, verbreitet. Dadurch war jeder, der des Lesens mächtig war, in der Lage, an den geistigen Auseinandersetzungen der Zeit teilzuhaben. Als ideales Mittel, um neue Ideen unter die Massen zu bringen, erwiesen sich Flugblätter, ohne die auch die Überzeugungen Martin Luthers kaum derart rasante Verbreitung gefunden hätten. Die neuen Möglichkeiten der Publikation von Gedanken und Meinungen förderten auch die schnelle Verbreitung wissenschaftlicher Arbeiten, was zur umfassenden Revidierung des von der Kirche propagierten Weltbildes beitrug.

Nicht nur in Europa waren die Verhältnisse in Bewegung geraten. Auf der arabischen Seite des Mittelmeers war das Osmanische Reich entstanden, dessen Größe und Macht schnell wuchsen. 1453 gelang den Osmanen mit der Eroberung Konstantinopels der Sprung nach Europa. Sie besetzten den Balkan und sorgten jahrhundertelang für Unruhe in europäischen Herrscherhäusern. Die Osmanen brachten aber nicht nur Krieg und Unterdrückung nach Europa sondern auch kulturelle Neuerungen, die das Leben bereicherten. Mit der osmanischen Eroberung der arabischen Welt und der Einnahme Konstantinopels wurden jedoch auch die Handelswege nach China und Indien blockiert. Wo sollten nun die Luxusgüter herkommen, an die man sich doch gewöhnt hatte? Vielleicht ließ sich ein direkter Seeweg in diese fernen Weltengegenden finden. Zwei Routen waren denkbar, zum einen die Umsegelung Afrikas, zum anderen der Weg nach Westen, um Indien über die Rückseite der Erdkugel zu erreichen. Die Erkundungen dieser Routen waren gewagte Unterfangen, die viele Gefahren bargen. Allerdings hatte es auch Entwicklungen gegeben, die diese Abenteuer aussichtsreich erscheinen ließen. Ein neuer, wendigerer und besser steuerbarer Schiffstyp stand zur Verfügung, der Kompass war deutlich genauer geworden und mit Hilfe des Jakobsstabs und astronomischer Tabellen konnte die Position eines Schiffes präzise berechnet werden. Bald waren auch tragbare mechanische Uhren verfügbar, die die Navigation vereinfachten. Außerdem hatten die Seefahrer mächtige Feuerwaffen an Bord, die ihnen ein Gefühl von Überlegenheit mit auf den Weg gaben.

Die Zukunft lag auf den Meeren, das hatten vor allem die Herrscher von Portugal und Spanien verstanden. Sie waren bereit, tollkühne Männer für derartige Abenteuer auszurüsten. Das damit verbundene Risiko wurde belohnt, denn Vasco da Gama fand einen Seeweg nach Indien um Afrika herum und Christoph Kolumbus gelang die Querung des Ozeans gen Westen. Allerdings sollte sich später herausstellen, dass er nicht in Indien gelandet war, sondern dass er einen bis dahin in den Karten nicht verzeichneten Kontinent gefunden hatte. Die Entdecker nahmen die Länder für ihre Herrscher in Besitz. Dass dort andere Völker lebten, war für sie nicht weiter von Belang. Durch Mord, Versklavung und eingeschleppte Krankheiten waren diese ohnehin bald ein schwindendes Problem. Im Windschatten der Pioniere trugen Missionare den christlichen Glauben in die Welt, so dass sich der Einfluss der katholischen Kirche, trotz der Rückschläge in Europa, ausweitete und der Grundstein für eine Weltkirche gelegt werden konnte. Allerdings waren auch viele der Missionare nicht mit Skrupeln belastet, wenn es galt, ihrer Sendung Erfolg zu verschaffen. Und dann fand man auch noch Gold, das die großen Entdeckungen vollends zu großen Raubzügen werden ließ.

Gold und Silber flossen tonnenweise nach Europa. Es waren Waren, die sich problemlos in alle anderen Waren eintauschen ließen. Insbesondere das Gold war ein gern gesehenes Zahlungsmittel, wurde es doch als Inkarnation von Reichtum verstanden. In Europa war es bis dahin ein eher rares und teures Gut gewesen. Sein massenhafter Zufluss wirkte daher wie eine Dopingkur für Handel und Gewerbe, zumal es nicht in den Schatzkammern der Herrscher verstauben, sondern sich in Macht und Luxus, das heißt in einen Strom von Gütern, verwandeln sollte. Die Aufwendungen für den Raub des Goldes waren zudem deutlich geringer als sein damaliger Wert, was zusätzlichen Profit versprach. Doch dabei blieb es nicht. Da immer mehr Gold nach Europa strömte, wurde der reale Aufwand für dessen Beschaffung bald zur Richtschnur seines Wertes. Das heißt, der Wert des Goldes, gemessen im Wert der Waren, die man mit ihm erwerben konnte, sank. Da auch der Zufluss an Gold und Silber irgendwann verebbte, erhielt die Euphorie, die die ersten Raubzüge ausgelöst hatten, bald einen Dämpfer. Man musste sich nun auf andere Reichtümer, die die neue Welt ebenfalls zu bieten hatte, besinnen. Es wurden Bodenschätze ausgebeutet und eine auf die Bedürfnisse Europas ausgerichtete Landwirtschaft entwickelt. Dort, wo Arbeitskräfte fehlten, auch weil die einheimische Bevölkerung nahezu völlig ausgerottet worden war, schaffte man Menschen aus anderen Weltengegenden heran. Menschenhandel, vor allem die Versklavung von Afrikanern, wurde zum einträglichen Geschäft.

Überseeische Territorien zu besitzen, war ein wichtiger Faktor für Macht und Ansehen europäischer Herrscher geworden. Es wurden Kriege um die Vorherrschaft auf den Meeren, um überseeische Territorien, aber auch um die Dominanz in Europa geführt. In diesen Auseinandersetzungen konnten sich nur Staaten behaupten, die über eine starke Zentralmacht verfügten. Die Zentralmacht war es auch, die am meisten von den Erfolgen einer expansiven Politik profitierte. Gleichzeitig gab die Eroberung von überseeischen Territorien der Entwicklung von Handel und Gewerbe starke Impulse. Nicht nur die Sklaven, buchstäblich alles wurde zur Ware. Die Profitmacherei rückte mehr und mehr in den Mittelpunkt des Wirtschaftslebens. Der damit eingeleitete Paradigmenwechsel von der Selbstversorgungswirtschaft zur Warenwirtschaft spiegelte sich auch darin wider, dass vielerorts die persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse der Bauern von ihren Grundherren durch wirtschaftliche Beziehungen ausdrückende Pachtverträge ersetzt wurden. Selbst der Staat war mehr und mehr von Einnahmen aus Handel und Gewerbe abhängig.

Neben einigen Herrschern waren auch Kaufleute, Bankiers und Gewerbetreibende reich geworden. Sie wollten nun mehr Einfluss auf die Geschicke der Gemeinwesen erhalten und vor allem die Bedingungen für ihre wirtschaftlichen Unternehmungen verbessern. Dem stand das Beharren des Adels auf angestammte Privilegien im Wege. Gar nicht zu reden von dessen Verschwendungssucht, die im krassen Gegensatz zur Not weiter Teile der Bevölkerung stand, die aber auch in den Augen vieler Intellektueller und Bürger als unnatürlich empfunden wurde. Der Widerspruch, der bereits im Verhältnis von Renaissance-Päpsten und Reformatoren aufgeschimmert war, fand im Konflikt zwischen den vererbbaren Privilegien des Adels und dem emanzipatorischen Streben der Bürger Fortsetzung und Zuspitzung. Die wachsenden Spannungen entluden sich schließlich in folgenschweren Beben. Ein solches Beben, die französische Revolution, zerstörte nicht nur dort die alte Ordnung, seine Ausläufer waren beinahe überall auf der Welt zu spüren. Die Revolution proklamierte die formale Gleichheit aller vor dem Gesetz. Privilegien, die durch Geburt in eine bevorteilte Klasse begründet wurden, sollte es nicht mehr geben. Jeder würde selbst seines Glückes Schmied sein. Damit forderte die Revolution den massiven Widerstand aller um ihre Privilegien Bangenden heraus. Sie setzte aber auch ungeahnte Kräfte frei, die das alte Europa das Zittern lehrten.

Dann kamen aus England, mit seiner zu dieser Zeit am weitesten entwickelten Wirtschaft, ganz erstaunliche Nachrichten. Dort waren von Wasserkraft getriebene Baumwollspinnereien entstanden, bei denen fast der gesamte Produktionsprozess mechanisch, ohne das Eingreifen von Menschen, ablief. Das sollte aber nur der Anfang sein. Ein neues Zeitalter, das Zeitalter der Industrialisierung pochte an die Tür der Geschichte. Veränderungen gab es auch in der Landwirtschaft, denn man war von der Dreifelderwirtschaft zur Fruchtfolge übergegangen. Außerdem wurde vermehrt Dünger eingesetzt, so dass die Erträge deutlich stiegen. Die Familien waren in der Lage, mehr Mäuler zu stopfen und Kinder groß zu ziehen, von denen viele später in die Städte zogen, um dort, in der aufkommenden Industrie, ihr Auskommen zu finden. Trotzdem bildete die Landbevölkerung noch immer die größte soziale Gruppe, was sich erst mit der fortschreitenden Industrialisierung grundlegend änderte. Das heißt, vom Sesshaftwerden der Menschen bis zur Industrialisierung waren die Gesellschaften agrarisch geprägt, es waren mehrheitlich auf Selbstversorgung focussierte Bauerngesellschaften.

zuletzt geändert: 18.09.2019

Quellen:

  1. GEO Epoche Nr. 75, Die Pest
  2. GEO Epoche Kollektion Nr. 7, Die Industrielle Revolution

 

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