Ein etwas anderes Tier

Man hat immer wieder versucht, das Besondere herauszuarbeiten, das die Menschen von den Tieren und insbesondere von unseren nächsten lebenden Verwandten, den Menschenaffen, unterscheidet. Die jeweils gefundenen Einzigartigkeiten hatten oft nicht lange Bestand. Je mehr man über die Tiere lernte, desto mehr wurde klar, dass die Fähigkeiten der Menschen bereits im Tierreich vorhanden beziehungsweise in der einen oder anderen Form angelegt sind.

Ein Merkmal beinahe aller Tiere ist die Fähigkeit zur Bewegung im Raum. Für Bewegung braucht man Energie, die permanent verfügbar sein muss. Das gilt umso mehr als jederzeit eine Gefahr auftauchen kann, auf die umgehend reagiert werden muss. Deshalb bilden und speichern die Tiere Stoffe, bei deren Verbrennung sofort die benötigte Energie freigesetzt wird. Die in diesen Stoffen gebundene Energie muss aber irgendwo herkommen, das heißt, sie muss von außen aufgenommen worden sein. Als Ressource kommt vor allem das Sonnenlicht in Frage, da es fast überall verfügbar ist. Nur leider sind Tiere nicht in der Lage, das Sonnenlicht für die Bildung körpereigener Energieträger zu nutzen. Das können nur Pflanzen, weshalb viele Tiere sie zum Fressen gerne haben. Im Zuge der Verdauung wandeln sie die pflanzlichen in körpereigene Stoffe mit einer höheren Energiedichte um. Manche sparen sich diesen mühsamen Weg und fressen gleich das energiedichte Fleisch anderer Tiere. So oder so, am Ende der Nahrungskette stehen, zumindest außerhalb der Meere, immer Tiere, die sich von Pflanzen ernähren. Die Pflanzen sind wiederum auf Mikroorganismen angewiesen, die ihnen helfen, die für den eigenen Aufbau erforderlichen Stoffe aus der Umwelt zu gewinnen.

Nährstoffe bestehen, wie alles andere auch, aus Atomen und Molekülen. Man schätzt, dass Menschen aus zirka 10 hoch 27 (also 1 und 27 Nullen) Atomen bestehen. Diese Atome sind bereits in der Anfangsphase des Universums entstanden, das heißt, sie sind mehr als 4 Milliarden Jahre alt. Jeder Mensch besteht also aus Teilen, die so alt sind wie das Universum selbst. Kein Wunder, dass man sich manchmal uralt fühlt. Von allen Atomen gehen mehr oder weniger starke Wirkungen aus, die unter anderem dazu führen, dass sie sich zu Molekülen verbinden. Auch von den Molekülen gehen Wirkungen aus, die sie zu Bestandteilen größerer Strukturen werden lassen. Einige von ihnen verirren sich auch in den einen oder anderen Menschen. Hinzu kommt, dass so ein Mensch mit seiner Umwelt interagiert, zum Beispiel in dem er Luft einatmet, isst und trinkt und dabei Unmengen von Stoffen zu sich nimmt, verarbeitet und irgendwann auch wieder ausscheidet. Ein Organismus muss also in der Lage sein, eine Vielzahl von Stoffen samt ihrer Wirkungen auszuhalten. Diese Fähigkeit wurde in einem Milliarden Jahre währenden Kampf um die Fortexistenz des Lebens erworben und immer weiter perfektioniert. Trotzdem ist sie nicht grenzenlos. Einige Atome und Moleküle können dem Organismus durchaus gefährlich werden, zumal wenn sie in geballter Ladung auftreten. Was eine geballte Ladung ist, kann dabei unterschiedlich bemessen sein. Von manchen Stoffen, die man wegen ihrer Wirkung auf den Organismus als Gifte bezeichnet, reichen kleinste Mengen, um diesen außer Gefecht zu setzen. Andere werden erst bei einer bestimmten Konzentration im Organismus bedrohlich. Selbst lebenswichtige Stoffe, wie das Salz, können in übergroßen Mengen verabreicht, irreversible Schäden verursachen.

Organismen sind Zellverbünde, in denen sich die einzelnen Zellen auf unterschiedliche Aufgaben spezialisiert haben, um so zur Fortexistenz des Ganzen beizutragen. Gleichzeitig sind diese Zellen nur noch im Verbund überlebensfähig. Der Zellverbund Mensch besteht aus schätzungsweise 10 hoch 14 Zellen, die sich einander angepasst und auf einzelne Aufgaben spezialisiert haben.1) Der Organismus sichert ihr Überleben, weshalb sie das ihrige beitragen, ihn zu erhalten. Trotzdem hat jede Zelle ihr eigenes von Werden und Vergehen bestimmtes Dasein. Bei einem erwachsenen Menschen sterben in jeder Sekunde rund 50 Millionen Zellen und neue werden in ähnlicher Größenordnung gebildet.1) Das Leben eines Menschen ist also durch das ununterbrochene Massensterben seiner Zellen genauso geprägt, wie durch deren permanente Neuerschaffung. Dahinter steht eine grandiose logistische Leistung, denn die Aufbaustoffe für die Zellen müssen bereitgestellt und die Abfallstoffe beseitigt werden. Das Ganze funktioniert, weil jede einzelne Zelle ihren definierten Platz im Organismus hat und die mit ihm verbundenen Aufgaben mehr oder weniger selbsttätig wahrnimmt.

Die Billionen von Zellen, aus denen ein Mensch besteht, sind natürlich nicht alle auf eine jeweils andere Aufgabe spezialisiert. Die Aufgaben, die die Zellen im Organismus wahrzunehmen haben, lassen sich eher mit einigen Hundert angeben. In der Regel ist es auch nicht eine einzelne Zelle, die eine spezielle Aufgabe übernimmt. Sie bilden vielmehr ihrerseits Verbünde, die als Gesamtheit bestimmte Funktionen im Organismus erfüllen. Diese Funktionseinheiten sind wiederum nicht nur aus einem Zelltyp aufgebaut, auch hier bilden in aller Regel Zellen mit unterschiedlichen Eigenschaften ein Ganzes. Diese Einheiten können von einem zentralen Platz im Organismus dem Ganzen dienen, wie die inneren Organe, sie können ihn aber auch gänzlich bedecken, wie die Haut, oder ihm inneren Halt und Beweglichkeit verleihen, wie das Skelett mit Muskeln, Sehnen und Bändern. Darüber hinaus gibt es Systeme, die den ganzen Korpus durchziehen und die Zellen mit Wasser, Sauerstoff, Brennstoff und Mineralien versorgen, oder eben den Abfall beseitigen. Alle Organe, Apparate und Systeme sind relativ eigenständige Einheiten. Sie sind aber auch Funktionseinheiten des Ganzen und müssen daher den unterschiedlichen Anforderungen, die der Organismus in den verschiedenen Lebenssituationen an ihr Wirken stellt, gerecht werden. Für die Koordinierung ihrer Tätigkeit hat sich eine spezielle Einheit, das Gehirn, herausgebildet, das über Sinneszellen und Nervenbahnen Informationen sammelt und die Aktivität der Funktionseinheiten steuert.

Neben der Unmenge von Zellen, aus denen ein Mensch besteht, bevölkern ihn auch noch Heerscharen von Mikroorganismen. Man schätzt, dass eine Billiarde dieser Winzlinge in und auf einem erwachsenen Menschen leben. Das sind weit mehr als er eigene Zellen hat. Im Unterschied zu den Zellen, die unlöslich zum Verbund Mensch gehören und auch von ihm versorgt werden, sind die Mikroorganismen eher als dessen Partner zu verstehen. Sie sind zwar auf der einen Seite von dem Organismus, dem sie zugehören, abhängig, auf der anderen Seite versorgen sie sich in dieser spezifischen Umwelt eigenständig. Zu ihrem Dasein gehört, dass sie Nachkommen hervorbringen und selbst irgendwann sterben. Natürlich bewegen sie sich auch in ihrer Umwelt, also im und auf dem Korpus Mensch, und sie nehmen diesen ihren Erfordernissen entsprechend wahr. Viele dieser Mikroorganismen mögen den Organismus Mensch in seiner Gesamtheit kaum beeinflussen. Einige von ihnen sind jedoch überlebenswichtig, zum Beispiel weil sie helfen, die aufgenommene Nahrung zu zersetzen und der Energiegewinnung zuzuführen. Allerdings gibt es auch die anderen, die den Organismus angreifen und ihn schwächen, ihm vielleicht sogar den Garaus machen.

Mikroorganismen sind aus der Entwicklungsgeschichte des Lebens nicht wegzudenken. Sie steuerten in ihrer rund 3,5 Milliarden Jahre währenden Existenz viele Innovationen bei, die zur Voraussetzung für die weitere Entwicklung wurden. Sie brachten zum Beispiel Botenstoffe hervor, um mit ihrer Hilfe Veränderungen in der Zelle planvoll zu steuern, sie erfanden die Atmung, das heißt, die Aufnahme von Sauerstoff zur Energiegewinnung durch Verbrennung und sie lernten, sich zu bewegen und selbsttätig nach Nahrung zu suchen. Für diese Suche brauchten sie Sensoren, die sie mit Informationen aus der Umwelt versorgen. Bereits diese wenigen Beispiele zeigen, dass die Mikroorganismen nicht nur die ersten Lebewesen auf Erden waren, sondern dass sie auch die Basis für die weitere Entwicklung des Lebens schufen.

Die Entwicklung des Lebens blieb aber nicht bei den Einzellern stehen. Zellverbünde, das heißt, Organismen in Form von Pflanzen und Tieren, entstanden, die seit nunmehr 1,8 Milliarden Jahren das Bild unseres Planeten prägen. Es waren zum Beispiel urzeitliche Würmer, die als erste Nervenzellen zur schnellen und zielsicheren Signalübertragung ausbildeten. Mit Hilfe dieser Zellen konnten neuronale Netze zur Steuerung von Bewegungen angelegt werden, die in einem speziellen Teil des Körpers, dem Kopf, konzentriert wurden. Fische, die seit rund 450 Millionen Jahren durch die Meere schwimmen, schützten das auf diese Weise entstandene Gehirn mit einem Schädel, genauso wie sie ein ausgefeiltes Stützsystem für den Körper hervorbrachten. Sie wurden zu Urahnen der Wirbeltiere, zu denen auch die Menschen zählen. Mit dem Landgang der Tiere vor rund 400 Millionen Jahren kam die Lungenatmung ins Spiel. Außerdem entwickelten sich die Extremitäten weiter, so dass Bewegungen in unterschiedlichem Umfeld möglich wurden. Die Landgänger bildeten darüber hinaus komplexe Sinnesorgane aus, mit denen sie eine große Vielfalt an Informationen aus ihrer Umwelt gewannen. Diese Informationen mussten eingeordnet und bewertet werden, was nur mit Hilfe von Erfahrungen, die in ähnlichen Situationen gemacht worden waren, zeitnah gelingen konnte. Außerdem stellte sich heraus, dass es vorteilhaft ist, die Brut im Mutterleib reifen zu lassen und lebend zu gebären. Durch diese Neuerung wurden die Überlebenschancen des Nachwuchses deutlich besser, so dass dessen Zahl zurückgehen konnte. Allerdings musste nun die nachgeburtliche Fürsorge intensiviert und den Neugeborenen eine leicht adaptierbare, nährstoffreiche Nahrung, eine Muttermilch, gegeben werden.

Zu den Säugetieren gehört auch die Ordnung der Primaten, deren Anfänge weit in die Frühzeit der Evolution zurückreichen. Die Geschichte der Primaten weist vor etwa sieben Millionen Jahren eine Zäsur auf. Durch klimatische Veränderungen waren die großen Wälder Afrikas auf dem Rückzug und Savannen bedeckten weite Flächen des Kontinents. In Anpassung an die unterschiedlichen Lebensräume teilte sich eine bereits hochentwickelte Spezies von Primaten in zwei Gruppen. Die einen lebten weiterhin in den verbliebenen Wäldern, die anderen passten sich dem Leben in den Savannen an. Sie perfektionierten das Laufen auf zwei Beinen, da sie so über das hohe Gras hinausschauen und Raubtiere beizeiten erkennen konnten. Außerdem hatten die aufrecht Gehenden die Hände frei, die sie nun nutzten, um Pflanzen, Wurzeln und Früchte zu sammeln oder nach Muscheln, Algen und Schnecken zu suchen. Aber auch Insekten und andere Kleintiere sowie Eier wurden nicht verschmäht. Der mit dem aufrechten Gang verbundene gute Überblick mag sie auch in die Lage versetzt haben, verletzte oder verendete Tiere von weitem zu erspähen. Alllerdings waren sie nicht die einzigen, die nach einer derartiger Beute Ausschau hielten. Einige der Konkurrenten konnten aus luftiger Höhe viel früher die begehrte Mahlzeit orten. Andere waren bessere Läufer und eher am Ziel, so dass die diesbezüglichen Anstrengungen unserer frühen Vorfahren wohl nur selten von Erfolg gekrönt wurden. Die Konkurrenten ließen ihnen nur geringe Fleischreste zurück, die sie immerhin mit scharfkantigen Steinen von den Knochen schaben konnten. Außerdem bargen die Knochen einen Schatz, das fett- und mineralstoffreiche Mark, das man allerdings nur erreichen konnte, wenn man die Knochen aufbrach. Dazu konnten spitze Steine oder solche mit scharfen Kanten benutzt werden. Da diese nicht überall zu finden waren, musste man die vorgefundenen Steine irgendwie bearbeiteten, damit sie zu brauchbaren Werkzeugen würden.

Vor zirka 2,5 Millionen Jahren traten erneut klimatische Veränderungen ein, die mit  wiederkehrenden Trockenperioden verbunden waren. Die Pflanzen bildeten nun härtere Schalen aus, um sich vor Austrocknung zu schützen. Um diese Pflanzen trotzdem als Nahrung nutzen zu können, entwickelten einige Gruppen der in den Savannen lebenden Primaten einen gewaltigen Kauapparat mit starken Kiefern und breiten Zähnen. Als sich die klimatischen Verhältnisse wieder normalisierten, wurde dieser überdimensionierte Kauapparat überflüssig, ja hinderlich. Er verschwand und mit ihm die durch ihn gekennzeichneten Arten. Andere Gruppen unserer frühen Vorfahren hatten Werkzeuge benutzt, um die harten Schalen der Pflanzen zu zerkleinern. Nach der neuerlichen Veränderung der natürlichen Bedingungen konnten sie ihre Werkzeuge modifizieren, ohne dass sie als Art gefährdet waren. Die mit den Werkzeugen gewonnene Flexibilität erwies sich als ein entscheidender Vorteil bei der Anpassung an sich verändernde Existenzbedingungen.

Die Werkzeuge wie auch die Jagdgeräte wurden im Laufe der Zeit immer weiter verbessert, so dass auch mehr tierische Nahrung beschafft werden konnte. Diese Nahrung mit ihrem Reichtum an Energie und Mineralien trug dazu bei, dass die Individuen, wie auch ihre Gehirne, größer wurden. Ihr intellektuelles Potenzial nahm zu, was sich unter anderem in einer weiteren Verbesserung der Werkzeuge und Jagdgeräte niederschlug. Das Wissen um deren Herstellung und Verwendung wurde zu einem überlebenswichtigen Schatz, den es zu bewahren, das heißt weiterzugeben, galt. Die Weitergabe von Erfahrungen war mit höheren Anforderungen an die Kommunikation verbunden, deren Entwicklung wiederum Impulse zur Ausprägung der intellektuellen Fähigkeiten setzte. Schritt für Schritt bildete sich eine Spezies heraus, die die Werkzeuge den Anforderungen entsprechend modifizierte und gezielt einsetzte, die das Leben und Überleben der Gruppe gemeinschaftlich organisierte und die die Erfahrungen, die in der Gruppe gesammelt wurden, über die Generationen hinaus bewahrte. Damit hoben sie sich von ihren äffischen Vorfahren ab. Die aus dieser Entwicklung hervorgegangenen Arten werden deshalb einer neuen Gattung, der Gattung Mensch, zugerechnet.

zuletzt geändert am 30.07.2019

Quellen:

1) JoachimSchüring, Wie viele Zellen hat der Mensch, www.spektrum.de, 2003

2) GEOkompakt Nr. 41, Der Neandertaler, 2014

3) Josef H. Reichholf, Das Rätsel der Menschwerdung, dtv Wissen 1993

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